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Interview erschienen in Mittelbadische Presse - Offenburger Tageblatt, 23. Juni 2005

Offenburg/Freiburg - Deutschland ist nach Angaben des Trägers des Alternativen Nobelpreises und SPD-Bundestagsabgeordneten, Hermann Scheer, im Bereich der Solarenergie technologischer Weltmarktführer. "Wir sind derzeit der profilierteste Standort für die Produktion von Solaranlagen für den weltweiten Bedarf", sagte Scheer in einem Interview mit dem "Offenburger Tageblatt" (Donnerstag). Dieser Erfolg sei allerdings nicht durch internationale Vertragskonferenzen, sondern durch eine politische Eigeninitiative wie beispielsweise durch das Erneuerbare Energiengesetz (EEG) möglich geworden. Scheer, der auch Präsident von Eurosolar ist, erklärte im Vorfeld der am (morgigen) Donnerstag in Freiburg beginnenden Fachmesse "Intersolar", die Abschaffung des Gesetzes durch eine mögliche neue Bundesregierung hätte verheerende Folgen für die ganze Branche und Technologie.

Die Freiburger Messe »Intersolar« verzeichnet in diesem Jahr einen neuen Ausstellerrekord. Ist das ein Indiz dafür, dass die Solarbranche boomt?

Scheer: Sicher boomt sie,  sie boomt in Deutschland. In einigen anderen Länder läuft der Boom auch gerade an, aber mit einigem Abstand zu Deutschland.

Freiburg meldet allerdings auch viele Aussteller aus dem Ausland. Woran liegt das?
Scheer: Das hängt mit dem deutschen Markt zusammen. Es gibt eine Fülle von Herstellern, die in ihren eigenen Ländern im Moment noch keinen ausreichenden Absatz haben. Die drängen natürlich auf den deutschen Markt. Der deutsche Markt ist eine Art Fixstern.

Liegt das am Erneuerbaren Energiegesetz, dem EEG?
Scheer: Das liegt natürlich an diesem politischen Fördergesetz. Das hat der ganzen Entwicklung einen ordentlichen Schub verpasst.

Das trifft nun aber auch den Vorwurf aus konservativen Kreisen, dass die Solarbranche nur von Subventionen lebe.
Scheer: Das sind ja keine Subventionen. Es handelt sich um garantierte, kostendeckende Einspeisungsvergütungen, die für individuelle Betreiber gezahlt werden. Die produzieren umweltfreundlichen, also emissionsfreien Strom. Das ist im Grund genommen die Realisierung des Verursacherprinzips - in die positive Richtung gewendet.

Wie meinen Sie das?
Scheer: Wenn man das Kardinalsproblem der herkömmlichen Energieversorgung nicht ignoriert, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Die eine wäre die systematische Verteuerung der herkömmlichen Energien mit den Mitteln der Steuerpolitik, damit die negativen sozialen und ökologischen Effekte bezahlt werden. Die andere Möglichkeit ist, den garantierten Marktzugang mit einer angemessenen Privilegierung erneuerbarer Energien zu ermöglichen. Letzteres ist der mit Abstand sozialere Weg, denn er mobilisiert die erneuerbaren Energien, ohne die anderen Energien übermäßig zu verteuern.

Die CDU sieht das ganz anders. Im Vorfeld des begonnenen Bundestagswahlkampfes gab es Stimmen, auch die Förderungen nach dem EEG zurückzufahren. Würde eine Branche mit weniger Föderungen durch EEG überleben oder noch boomen können?

Scheer: Es ist klar, dass diese Ankündigungen einen negativen Effekt haben. Deutschland hat im Moment eine federführende Rolle inne. Es ist eine Vorbildrolle im weltweiten Maßstab. Diese Vorbildrolle würde natürlich bei einer Reduzierung, erst recht bei einer Abschaffung des Erneuerbaren Energiengesetzes verloren gehen. Die Folgen wären verheerend, und zwar im weltweiten Maßstab. Die Welt würde gewissermaßen ihr solares Vorbild verlieren. Das ist ja übrigens schon einmal passiert. Die Rolle, die heute Deutschland spielt, spielten in der zweiten Hälfte der 70er Jahre die USA, es war die Präsidentschaft Jimmy Carters. Das seinerzeitige amerikanische Solarprogramm wurde von Carters Nachfolger Reagan  buchstäblich zertrümmert. Dieses war ein schwerer Rückschritt in der gesamten Weltentwicklung - und das nicht nur bezogen auf die Klimafrage, sondern bezogen auf die Umweltfrage generell und auf die Frage wachsender Energieabhängigkeit von immer weniger Ländern. Was wir heute machen, ist der zweite große Anlauf. Und der ist nicht zustande gekommen durch internationale Vertragskonferenzen, sondern durch eine politische Eigeninitiative, die gewissermaßen einen Schneeballeffekt hervorgerufen und eine neue Dynamik in Gang gesetzt hat. Deutschland profitiert davon am meisten. Denn wir wurden damit technologischer Weltmarktführer - das heißt auch, dass wir der profilierteste Standort für die Produktion von Solaranlagen für den weltweiten Bedarf sind.

Was kostet den Stromkunden eigentlich die Förderung nach dem EEG?
Scheer: Die Kosten des Umlagesystems sind minimal. Die EEG-Umlage macht pro Vier-Personen-Haushalt etwas über einen Euro pro Monat aus. Das ist niedriger als die Rückstellungen der Atomwirtschaft für die atomare Entsorgung, die natürlich auch im Strompreis inbegriffen sind.

Würden Sie sagen, dass die Solarbranche längst den Aufschwung hat, von dem sich alle Welt wünscht, dass er in Deutschland eintreten möge?
Scheer: Nein, umgekehrt. Die Branche hat hier den Aufschwung, von dem sich alle Problembewussten wünschen, dass er weltweit eintreten möge. Das ist die Situation. Es wäre ein politischer, ökonomischer und ökologischer Schildbürgerstreich, dies einzudämmen.

Wie hat sich in den vergangenen Jahren eigentlich die Zahl der Arbeitsplätze in der deutschen Solarbranche entwickelt?
Scheer: Es sind zum großen Teil mittelständische Unternehmen, die aktiv geworden sind und eine große Perspektive vor Augen haben. Das ist ja genau das, was gewünscht wird. Auf diesem Sektor haben wir jährliche Wachstumsraten von 30 Prozent mit einem entsprechenden Beschäftigungszuwachs. Kein anderer Bereich neuer Technologien schafft das. Und das dann auch zur Herstellung von Anlagen, die es ermöglichen, emissionsfrei Strom zu erzeugen. Das ist eine Herausforderung, vor der die gesamte Welt steht.

Räumen Sie der Solarenergie unter den erneuerbaren Energien eine besondere Stellung ein?
Scheer: Solarenergie ist genau genommen alles. Alle erneuerbaren Energien haben ihren aktuellen Ursprung in der Sonneneinstrahlung. Das gilt auch für den Wind - Wind ist im Grund eine Form thermischer Sonnenenergie. Die beiden künftig ergiebigsten Potenziale sind die solare Strahlungsenergie und der Wind, wobei die solare Strahlungsenergie an erster Stelle steht. Weil sie als einzige überall auf der Welt nutzbar ist, an jedem Standort.