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stern_logo.jpgErschienen im stern, 03. Juli 2008

Pauschale Abgrenzungen helfen nicht weiter: SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer, Träger des Alternativen Nobelpreises, plädiert für eine selbstbewusste Auseinandersetzung mit Lafontaines Linken.

Nichts hat die SPD in den vergangenen Monaten so sehr geschwächt wie ihre hitzigen Debatten über das Verhältnis zur Linkspartei. Die Frage, ob wir die Linke ignorieren oder mit ihr koalieren sollen, hat unsere Partei schier zerrissen. Doch allen Abgrenzungsschwüren der SPD-Spitze zum Trotz: Die Mehrheit der Bürger glaubt nicht an die Bekundungen, nach der Bundestagswahl 2009 nie und nimmer Koalitionen mit der Linkspartei einzugehen. Diese Erklärungen erscheinen offenbar als politisch unplausibel. Selbst die härtesten Gegner der Linkspartei in der SPD müssten mittlerweile also zur Einsicht gekommen sein: „Nie und nimmer“-Absagen an Koalitionen mit der Linken sind kontraproduktiv. Sie verhindern nicht, dass die Linkspartei zu Lasten der SPD immer stärker wird. Höchste Zeit also, die Auseinandersetzung klarer, selbstbewusster, differenzierter zu führen und nicht länger in der Art einer Kollektivpsychose.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist es doch kaum nachvollziehbar, warum sich die SPD im Westen Deutschlands noch schärfer von der Linken abgrenzen soll als im Osten. Wo gab es denn SED, Mauer und Stacheldraht? In Hessen etwa? Es wirkt nur lächerlich, ausgerechnet die Mitglieder und Wähler der Linkspartei im Westen mit einem SED-Verdikt zu überziehen. Sie waren bis vor Kurzem noch Mitglieder und Wähler der SPD. Und es wirkt irreal, heute noch einmal die alten Ängste vor dem Kommunismus zu schüren. Das Vokabular, das da benutzt wird, erinnert an die Schlachten von CDU und CSU gegen Willy Brandts Ostpolitik in den 70er Jahren.

Auch andere Gründe, warum eine Koalition mit der Linken nicht denkbar sein soll, überzeugen nicht. Die Demagogie der Linkspartei? Auch die Kampagne des CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch gegen jugendliche ausländische Straftäter war Demagogie pur. Die Nicht-Finanzierbarkeit uferloser Forderungen der Linkspartei? Gilt genauso für die FDP, deren Steuersenkungsabsichten die Finanzierung der Staatsleistungen unmöglich machen würde. Nun machen solche Vergleiche die Linkspartei nicht besser. Aber sie zeigen, warum sie nicht die erhoffte Abschreckungswirkung haben. Auch das seit fast zehn Jahren zerrüttete Verhältnis der SPD zu ihrem ehemaligen Vorsitzenden Oskar Lafontaine ist kein hinreichender Grund, sich selbst Fesseln anzulegen und mit der Linken nicht zu reden. Die „Causa Lafontaine“ ist kompliziert und widersprüchlich. Sie kann durchaus so nachdenklich gesehen werden wie in Gerhard Schröders Erinnerungsbuch. Der Ex-Kanzler erklärt Lafontaines Rückzug 1999 nicht hämisch, sondern einfühlsam und analytisch: Schröder erinnert an Lafontaines Neigung zur Opposition und stellt dessen Flucht als eine mögliche Spätfolge des Attentats von 1990 dar.

Die SPD schwächt sich mit ihrer Antihaltung nur selbst. Solange sie eine Koalition mit der Linkspartei unter allen denkbaren Umständen ausschließt, solange sie eine solche Koalition sogar auf westdeutscher Landesebene als drohendes Unheil begreift, riskiert die SPD weitere Machtverluste. Kaum etwas verhindert Wahlerfolge, auch im Bund, mehr als der Eindruck, die SPD habe gar keine andere Regierungsperspektive als die einer Fortführung der Großen Koalition, in einer dann auch noch geschwächten Rolle. Oder die einer Ampelkoalition mit einer FDP, in der noch weniger sozialer Ausgleich realisierbar ist als in einem Bündnis mit der Union. Ohne eine andere Machtoption verliert die SPD ihre Verhandlungsmacht. Die Befürchtung, dass sogar schon die Tolerierung einer SPD-geführten Regierung auf Länderebene – wie sie in Hessen erörtert wird – die SPD für die nächste Bundestagswahl schwächen würde, ist bereits 1998 praktisch widerlegt worden. Seinerzeit wurde in Sachsen-Anhalt eine Tolerierung der SPD-Regierung durch die PDS vereinbart, und dennoch gab es ein halbes Jahr später einen fulminanten SPD-Sieg bei der Bundestagswahl.

Erinnern wir uns an Österreich in den 90er Jahren. Von Wahl zu Wahl wurde die rechtspopulistische FPÖ Haiders stärker, bis sie die konservative ÖVP bei der Nationalratswahl überrundete. Die ÖVP zog daraufhin die Notbremse und ging unter der Bedingung, dass sie den Kanzler stellt, eine Koalition mit der FPÖ ein. Europa tobte, die EU verhängte Sanktionen. Im Nachhinein muss anerkannt werden, dass die ÖVP strategisch richtig handelte. In der Regierungsverantwortung entzauberte sich die FPÖ und verlor schon bei der nächsten Wahl zwei Drittel ihrer Wähler.

Die SPD darf nicht in Kauf nehmen, dass die Zahl der Wähler, die sich von linkspopulistischen Forderungen angesprochen fühlen, weiter wächst. Was wir, die SPD, brauchen, ist eine Politik mit unverkennbarem sozialdemokratischem Profil. Eine Politik, die sich von der Linkspartei nicht schrecken lässt. Abgeklärt müssen wir in dieser Frage sein. Wir dürfen uns von der Linken nicht pauschal abgrenzen, wir müssen ihr grundlegende Bedingungen für eine mögliche Zusammenarbeit stellen. Nur konkret begründete Absagen sind nachvollziehbar und dadurch glaubwürdig. Nicht die Linkspartei destabilisiert die Republik, sondern eine auf Dauer geschwächte SPD, die das Gleichgewicht der beiden großen Parteien aufhebt. Bedingungslose Abgrenzungen sind ebenso unpolitisch wie bedingungslose Koalitionsperspektiven. Die SPD muss stark genug bleiben, anderen Parteien Bedingungen für eine Kooperation stellen zu können. Nur dann wird sie selbstbewusst Koalitionen eingehen können. Irgendwann einmal auch mit der Linkspartei.

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