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Artikel von Hermann Scheer, Präsident von EUROSOLAR, erschienen in Demokratische Gemeinde, September 2007

Erneuerbare Energien sollten Vorrang in der Flächennutzungsplanung haben

Dass Deutschland in der Stromerzeugung aus neuen Erneuerbaren Energien (also ohne die in manchen Ländern umfangreich und traditionell genutzte Wasserkraft aus großen Stauseen) die Weltspitzenstellung einnimmt, geht auf das "Gesetz zum Vorrang Erneuerbarer Energien" (EEG) vom Jahr 2000 zurück.

Wie der volle Name dieses Gesetzes sagt, erhielten Erneuerbare Energien eine Priorität bei Einspeisung ins Stromnetz (garantierter Netzzugang) und eine gesetzlich festgelegte Vergütung. Fortan war es nicht mehr möglich, diesem Strom den Marktzugang zu versperren oder Investitionen durch zu geringe Vergütungssätze zu verhindern.

Das Ergebnis ist, dass in nur sieben Jahren der Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung von 4,5 auf 13 % angewachsen ist. Den Löwenanteil stellt dabei die Windkraft, nämlich etwa 7 %. Ein weiteres Ergebnis ist das Entstehen einer neuen Industrie mit dem weltweit höchsten technologischen Profil und etwa 150.000 neuen Arbeitsplätzen, davon allein 74.000 im Bereich der Windkraft. Das Gesetz ist zum internationalen Vorbild geworden. Kurzum: Es ist ein politischer und wachsender wirtschaftlicher Exportschlager. Es ist ausschlaggebend dafür, dass der Weltklimarat die Windkraftanlagen als wichtigste neue Technologie für den Weltklimaschutz bezeichnet.

Erneuerbare werden sehr unterschiedlich genutzt

Dabei könnte der Beitrag Erneuerbarer Energien zur deutschen Stromversorgung schon jetzt bei etwa 20 % liegen, mit noch mehr Arbeitsplätzen, wenn der Ausbau in allen Bundesländern so erfolgt wäre, wie es einige vormachen. Die Einführungsunterschiede sind gravierend: In Sachsen-Anhalt wird z.B. schon jetzt so viel Windstrom erzeugt, dass er 36 % des dort verbrauchten Stroms ausmacht. Schlusslichter sind dagegen Hessen (1,85 %), Bayern (0,5 %) und Baden-Württemberg (0,46 %).

Dass mit Sachsen-Anhalt ein Binnenland an der Spitze steht, belegt eindeutig, dass nicht geografische Gründe in Form der Windverhältnisse diese Diskrepanz zu den Schlusslichtern ausmachen, sondern politische. Nicht zufällig haben die drei Länder am Tabellenende Regierungen, die vehement weiter auf Atomenergie setzen. Sie begründen das damit, dass es zum Atomstrom keinen kohlendioxidfreien Ersatz gebe. Je erfolgreicher sie deshalb die Einführung Erneuerbarer Energien verhindern, desto plausibler soll diese Begründung klingen. Das erklärt, warum sie gerade den Ausbau der Windkraft blockieren, da sie die Erneuerbare Energie im Stromsektor ist, die gegenwärtig und auf absehbare Zeit den größten und am schnellsten realisierbaren Beitrag zum Ersatz atomarer und fossiler Stromerzeugung leisten kann.

Das Instrument zur Verhinderung ist die Raumordnungspolitik, die hauptsächlich in der Entscheidungskompetenz der Länder liegt. In den Raumordnungs- bzw. Landesplanungsgesetzen sind die "öffentlichen Belange" niedergelegt, die bei raumwirksamen Entscheidungen zu berücksichtigen sind und aus denen sich auch Vorrangigkeiten in der Landschaftsnutzung ergeben. Der Katalog dieser öffentlichen Belange ist lang: Straßen, Wasserwege, bauliche Maßnahmen zur Wasserversorgung, zur Strom-, Gas- und Telekommunikationsversorgung u.a.m. Hinzu kommen öffentliche Belange, die im Bundes- und Europarecht festgehalten sind, vom Bergrecht bis hin zu FFH-Richtlinien, Forstgesetzen und dem Immissionsschutzrecht. Bei baulichen Maßnahmen geht es um Standorte. Was als öffentlicher Belang anerkannt ist, löst entweder ein prinzipielles Recht zur Realisierung oder zur Verhinderung aus. Da es dabei unvermeidlich zu Zielkonflikten kommt, gibt es für die Genehmigungsbehörden Ermessensspielräume – und diese können entsprechend, je nach Wille und Bewertung, willkürlich gehandhabt werden.

Erneuerbare sind von zentralem öffentlichem Belang

Erneuerbare Energien sind in den Raumordnungsgesetzen der Länder bisher nicht als öffentlicher Belang aufgeführt, obwohl der Wechsel von atomaren und fossilen zu Erneuerbaren Energien zweifellos im elementaren öffentlichen Interesse liegt – aus Gründen des Klimaschutzes, des Schutzes der Bevölkerung vor gesundheitsschädigenden Emissionen, einer damit dauerhaft gesicherten Energieversorgung, dem Schutz des Waldes und der Gewässer vor saurem Regen oder der Sicherung des regionalen Wasserhaushalts angesichts des hohen Wasserverbrauchs von Großkraftwerken und nicht zuletzt wegen ihres Beitrags zur regionalen Wirtschaftsförderung.

Mit anderen Worten: Die Nichtbenennung der Erneuerbaren Energien als wesentlicher öffentlicher Belang in den Raumordnungsgesetzen ist ein Anachronismus, der im eklatanten Widerspruch zur durch das EEG festgelegten Vorrangstellung Erneuerbarer Energien im Strommarkt steht. Eine Ausnahme von dieser Diskriminierung Erneuerbarer Energien ist der §35 des Bundesbaugesetzes, der auch Erneuerbare Energien für Planungen im Außenrecht privilegiert. Dies ist aber kein Sonderprivileg, sondern stellt Erneuerbare Energien nur mit fossilen und atomaren Energieanlagen gleich.

Solange sie aber nicht in den Raumordnungsgesetzen als öffentlicher Belang gelten, eröffnet das den Landesbehörden viele Möglichkeiten, dennoch Erneuerbare Energien zu blockieren. Sie brauchen dafür nur jedem anderen Belang den Vorrang zu geben, um Standortgenehmigungen etwa für Windkraftanlagen zu verweigern. Das gilt selbst für den §35 des Bundesbaugesetzes. Dieser ermöglicht nämlich Landesregierungen, in Regionalplänen Vorranggebiete festzulegen und alle sonstigen Räume für die Nutzung auszuschließen. Wenn dabei jeder andere öffentliche Belang der Windkraftnutzung vorgezogen wird, können die Vorranggebiete so klein gehalten werden, dass kaum noch adäquate Standorte für die Erneuerbare Energie übrig bleiben. "Verhinderungsplanung" ist das Stichwort für diese Praxis.

Es ist damit möglich, das bundesgesetzliche EEG über eine restriktive Standortpolitik weitgehend leerlaufen zu lassen und damit den Ausbau Erneuerbarer Energien entscheidend zu verschleppen. Wie weitgehend das gehandhabt wird, zeigt sich u.a. daran, dass sogar das "Repowering" von bestehenden Windkraftanlagen, also deren Leistungs- und Effizienzsteigerung, bisher weit hinter den technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten zurückgeblieben ist.

Was so alles Vorrang vor Anlagen völlig emissionsfreier Stromproduktion mit ihrem lokalen Wertschöpfungspotential hat, ergibt ein Kaleidoskop von Absurditäten ohne jede Verhältnismäßigkeit. Vor dem Hintergrund atomarer Unfall-, Terrorismus- und Abfallgefahren sowie der durch fossile Energieverbrennung kulminierender Klimagefahren, die allein durch den Wechsel zu Erneuerbaren Energien abgewendet werden können, wird das letzte Haar in der Suppe gesucht, um Standorte zu verweigern – und wenn es nur die "ästhetische Landschaftsverschandelung" ("Verspargelung der Landschaft") ist oder es für Fledermäuse als unzumutbar gilt, eventuell ihren Nistplatz zu verlegen. Würden solche Kriterien gegen Hochspannungsmasten oder Richtfunkanlagen geltend gemacht, könnte keine mehr gebaut oder müssten die meisten abgerissen werden. Man muss Windkraftanlagen nicht schön finden, es reicht, sie als notwendig anzuerkennen. Spargel ist ein gesundes und beliebtes Nahrungsmittel, aber es gibt ihn nicht ohne ein Spargelfeld.

Deshalb ist es ein zwingendes Erfordernis, endlich die Erneuerbaren Energien als zentralen öffentlichen Belang in den Raumordnungsgesetzen zu verankern und ihnen sogar Vorrang zu geben. Ohne diesen Schritt kommt der Ausbau Erneuerbarer Energien über kurz oder lang ins Stocken, und wir kleben an der Abhängigkeit von fossilen Energien fest – mit allen verheerenden Folgen für alle öffentlichen Belange, nicht zuletzt für die Landschaft.

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