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Artikel von Hermann Scheer, Präsident von EUROSOLAR, erschienen in Frankfurter Rundschau, 23. Februar 2007



Die Argumente gegen Windräder sind nicht stichhaltig. Über Ästhetik lässt sich nicht streiten

Der neue Klimabericht wirft umso ultimativer den Wechsel zu erneuerbaren Energien auf. Unter diesen ist die Windkraft die schnellstmöglich mobilisierbare: 20 600 Megawatt Windkraftleistung in 19 600 einzelnen Anlagen sind in wenigen Jahren in Deutschland installiert worden, was 7,5 Prozent der Stromversorgung ausmacht. Die Ausbaupotenziale für Windenergie liegen keineswegs nur auf dem offenen Meer (off-shore), sondern auch und gerade im Binnenland.

Die installierten Anlagen haben eine durchschnittliche Kapazität von einem Megawatt. Stand der Technik sind inzwischen Fünf-MW-Anlagen. Würden alle vorhandenen Anlagen durch solche ersetzt (Repowering), so wären wir mit dieser Kapazitätssteigerung schon bei über 30 Prozent der Strombedarfs. Doch das setzt erlaubte Nabenhöhen von 100 Metern voraus. Dies stößt jedoch auf behördliche Genehmigungsblockaden, obwohl der Unterschied zwischen 70 und 100 Metern in einem Sichtabstand von 500 Metern kaum noch wahrnehmbar ist.

Sachsen weit vor Hessen

Einige Energie-Landesregierungen - wie etwa Hessen - verhalten sich bei Standortgenehmigungen generell äußerst restriktiv. Was das bedeutet, zeigt der Vergleich zwischen Sachsen-Anhalt und Hessen. Beide haben eine etwa gleich große Fläche mit vergleichbarem Windpotenzial, aber unterschiedliche Genehmigungskriterien. In Sachsen-Anhalt stehen 1828 Anlagen, was durchschnittlich eine Anlage pro elf Quadratkilometer ausmacht. In Hessen sind es nur 538, im Schnitt eine Anlage pro 38 km2. Wären in allen bremsenden Bundesländern proportional so viele Anlagen installiert wie in Sachsen-Anhalt, so hätten wir schon über 30 000 Anlagen mit einem Produktionsanteil von elf Prozent. Und wären diese dann alle in der Leistungsklasse von fünf MW, so ergäbe das bereits etwa die Hälfte des deutschen Strombedarfs!

Diese Zahlen belegen, dass es keinen zwingenden Grund gibt, an der Atomenergie festzuhalten oder neue fossile Großkraftwerke zu bauen. Wir haben die greifbare Chance zu einer schnell realisierbaren emissionsfreien Stromversorgung mit der Windkraft als wichtigster Lokomotive. Aber dennoch gibt es dagegen hartnäckige politische Verweigerungshaltungen und lautstarke Proteste, die den Anschein erwecken, als sei Windkraft allgemein unzumutbar und unpopulär. Umfragen zeigen demgegenüber, dass die Windkraft von über 70 Prozent der Menschen befürwortet wird, in der jüngeren Generation über 80 Prozent. Die Widerstände werden wahlweise mit Vorbehalten begründet, die allesamt einer näheren Prüfung nicht standhalten oder sich Fragen nach ihrer Verhältnismäßigkeit zu weit schwerwiegenderen Problemen und Landschaftsbelastungen gefallen lassen müssen. Denn mit jeder verhinderten Anlage erneuerbarer Energien werden unbewusst oder mutwillig weiterhin gigantische Risiken atomarer und fossiler Energien in Kauf genommen.

Windstrom kann man speichern

Der technische Vorbehalt klingt vielen plausibel: Da der Wind nicht immer weht, sei Windkraft keine brauchbare Alternative. Doch es geht nicht alleine um Windkraft, sondern um einen Mix aus allen erneuerbaren Energien, die einander ergänzen. Reservekraftwerke braucht auch die konventionelle Stromwirtschaft, sonst wären etwa in Hessen schon die Lichter ausgegangen, da beide Biblis-Reaktoren seit Monaten stillstehen. Hybridsysteme in Form kombinierter Windkraft und Biogasanlagen können z. B. gewährleisten, dass auch bei Windstille rund um die Uhr produziert wird. Und natürlich lässt sich auch Windstrom speichern, z. B. in Pumpspeicherwerken oder in Form von Druckluft, was beides Stand der Technik ist.

"Wirtschaftlich" wird immer noch eingewandt, dass der Windstrom zu viel koste. Aber Ökostromanbieter, die zu 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien anbieten, mit der Windkraft als Hauptquelle, bieten heute schon ihren Strom billiger an als etwa RWE. An der Strombörse in Leipzig gilt Windstrom bereits also preisstabilisierend, weil dafür keine Brennstoffkosten anfallen. Und je mehr die fossilen Brennstoffkosten ansteigen, womit gerechnet werden muss, desto eher wird Windkraft zum allgemeinen Kostensenkungsfaktor. 40 Millionen Tonnen jährlicher Emissionsminderungen bringt schon die Windkraft in Deutschland für Mehrkosten von etwa 1,5 Milliarden Euro gegenüber den durchschnittlichen Produktionspreisen. Hingegen hat der vielgerühmte Emissionshandel keine nennenswerte Minderung bewirkt, aber jährliche Mehrkosten von fünf Mrd. Euro.

100 000 Hochspannungsmasten überflüssig

Die heftigsten Ablehnungen erfolgen im Namen des Landschafts- und Vogelschutzes, mit Horrormeldungen über die "ästhetische Landschaftsverschandelung" oder das "Verschreddern" von Vögeln. Über Ästhetik lässt sich jedoch nicht rational streiten. Die einen finden Windkraftanlangen schön, andere hässlich. Aber rational lässt sich bewerten, welches Augenmaß der Protest hat. 194 000 Hochspannungsmasten stehen in Deutschland - und weit mehr als die Hälfte davon könnte abgebaut werden, wenn die Stromproduktion in Großkraftwerken durch regional breit gestreute dezentrale Windkraftanlagen ersetzt wird. Und was heißt Landschaftsschutz, wenn wegen fossiler Emissionen die Gletscher und das Grönlandeis schon schmelzen, Sturmkatastrophen zunehmen und Landschaftsdürren sich ausbreiten, Wälder sterben und Gewässer übersäuern? Und das Vogelsterben? Etwa 300 tote Vögel sind bisher in Deutschland unter Windkraftanlagen gefunden worden, aber Millionen sterben jährlich durch Hochspannungsleitungen und den Autoverkehr.

"Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen", sagt ein chinesisches Sprichwort. Heutige Mauern gegen Windkraftanlagen werden künftig einmal so bewertet werden wie heute die einstigen Widerstände gegen die erste Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth.

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