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(c) aboutpixel.comArtikel erschienen in Le monde diplomatique, 09. Juni 2006

Erneuerbare Energien sind eine realistische und bezahlbare Alternative

Für die Weltenergieversorgung gibt es eine schlechte und eine gute Nachricht. Die schlechte: Das Erdöl geht zu Ende. Die gute: Das Erdöl geht zu Ende. Das gilt früher oder später für alle fossilen Energien, aber auch für das fossile Uranerz, dem Basismaterial für atomare Brennstäbe. Das Erdöl wurde dabei aus einem schlichten Grund zur meist genutzten Energie: Es ist flüssig und damit leichter nutzbar. Es wurde zum „schwarzen Gold“ des 20. Jahrhunderts. Aber schon John Rockefeller, der erste und berühmteste aller Ölmagnaten, bezeichnete es in dumpfer Vorahnung als „Tränen des Teufels“.

Dass es eines Tages erschöpft sein wird, war immer schon klar. Nur weil man nicht genau wusste, wann das ungefähr der Fall sein würde, ist das verdrängt worden. Die heutige Alarmstimmung von Staatsführern verrät nur, dass auch sie in den Tag hineinlebten, als die Abhängigkeit ihrer Länder von den sich erschöpflichen Ressourcen laufend größer wurde. Dabei ist die Frage, wie lang die Reserven noch reichen, nur die drittwichtigste.

Die zweitwichtigste Frage ist: Was geschieht in der Weltwirtschaft und den nationalen Ökonomien angesichts der Entwicklung der Energiepreise. Deren kontinuierliche Steigerung geht auf mehrere Faktoren zurück:

-    Der Weltbedarf, vor allem aufgrund der Entwicklung Chinas und der Zunahme des Weltverkehrs, steigt schneller als die technisch realisierbaren Angebotsmöglichkeiten.

-    Die politischen Unsicherheiten nehmen in der sich kulturell, wirtschaftlich und sozial destabilisierenden Welt einer wirtschaftslibertär dogmatisierten Liberalisierung zu. Damit wächst die Störanfälligkeit des überkommenen Energiesystems, dessen strukturelles Hauptmerkmal darin besteht, von relativ wenigen Förderplätzen und –ländern für Öl, Gas und Uran aus in langen Bereitstellungsketten die Energieversorgung für alle zu organisieren. Dadurch steigen die politischen und militärischen Kosten für die Energiesicherheit. Dies reicht von den wachsenden Schwierigkeiten, strategische Energieversorgungslinien und –zentren vor terroristischen Angriffen zu schützen, bis zur immer mühsameren Verhinderung der Proliferation von Atomwaffen.

Diese Faktoren zeigen: die heutige Energieversorgung ist desolat, lange bevor die tatsächliche Erschöpfung eintreten wird. Die auf dem nächsten G8-Gipfel in St. Petersburg anstehenden Initiativen, der Energiefalle zu entrinnen, sind illusorisch: Versucht wird die weltweite Renaissance der Atomenergie und die Technologieförderung von „clean coal“-Kraftwerken, als wäre das Weltenergiesystem intakt, wenn es nur nicht das CO2/Klima-Problem geben würde. Aus Energiesicherheitsgründen wird empfohlen, die Förderländer zu höheren Förderquoten zu drängen und die internationalen Transportnetze auszubauen, was jedoch im Widerspruch zu den Klimaschutzzielen steht. Zwar sollen auch die Erneuerbaren Energien gefördert werden, ohne dass dieser Ansatz tatsächlich im Zentrum der Initiativen steht.

Nichts davon hält einer näheren Betrachtung stand. Die Sonne mit ihren Derivaten (Wind, Wasser, Biomasse, Wellen) liefert unserem Erdball täglich 15.000 mal mehr Energie als weltweit der Tagesverbrauch an Energie ist. Nichts ist für aktive Energieleistungen schneller verfügbar zu machen als dezentrale Anlagen zur Nutzung Erneuerbarer Energien. Eine Windkraftanlage ist in einer Woche installiert, eine Großkraftwerk in fünf bis fünfzehn Jahren. Speichermethoden stehen ebenso zur Verfügung (Pumpspeicherwerke, Druckluftkraftwerke) wie die Möglichkeit zu Hybrid-Strukturen, also der Koppelung von Sonnkraft- und Windkraftanlagen mit Wasserkraft oder Bioenergie. Die Möglichkeiten einer Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien durch eine zügige Erhöhung ihres Beitrags zur Energieversorgung ist mehrfach beschrieben worden: Für Frankreich bereits im Jahr 1978 von der „Group de Bellevue“ und für die USA b bereits 1979 von der Union of Concerned Scientists.

Mit anderen Worten: der makroökonomische und –politische Effekt ist von unschätzbarem Stellenwert. Er wird umso größer, je mehr die konventionellen Energien substituiert worden sind. Dieser Effekt ist jedoch nicht automatisch ein gleichzeitig wirkender mikro-ökonomischer für Investoren und Energienutzer. Deshalb liegt die geforderte politisch-ökonomische Handlungskunst darin, durch eine zielbewusste „policy“ die gesamtwirtschaftlichen Vorteile Erneuerbarer Energien in einzelwirtschaftliche Anreize zu transformieren, um damit die historisch notwendige Energiewende rapide einzuleiten.

Bei Fortsetzung der bereits erreichten Einführungsgeschwindigkeit wird in etwa vierzig Jahren die Stromproduktion aus Atomkraft und fossilen Energien vollständig durch Erneuerbare Energien substituiert sein. Dabei werden die direkten Mehrkosten sinken, weil die Kosten für konventionelle Energien steigen. Wahrscheinlich schon vor dem Jahr 2020 werden dann die Kosten für Erneuerbare Energien unterhalb der für Strom aus neuen Atomkraftwerken und fossilen Kraftwerken liegen, was den Energiewechsel beschleunigen wird. Ähnliche Substitutionsprozesse können auch, durch andere politische Instrumente, in der Wärme- und Kraftstoffversorgung in Gang gesetzt werden. Schon gibt es nicht nur Privathäuser, sondern auch twin-towers, die sich vollständig selbst aus erneuerbaren Energien versorgen können. Die dafür anfallenden Investitionskosten werden durch die eingesparten Brennstoffkosten amortisiert – allerdings in einer Kalkulation über zehn bis zwanzig Jahre. Der Ersatz für fossile Kraftstoffe für Fahrzeuge wird durch Biokraftstoffe und durch Elektromotoren mit neuartigen Batterietechniken erfolgen, auf der Entwicklugnslinie der Hybrid-Autos.

Dies aber ist eine irreale Vorstellung und offenbart einen vollständigen Mangel an technik- und energiesoziologischen Grundwissen, weil es eine solche objektive Neutralität kann es aus physikalischen Gründen gar nicht geben kann. Jedes Energiesystem ist zwangsläufig auf diejenigen Energiequellen zugeschnitten, die es uns liefert. Die Wahl der Energiequelle entscheidet über den sich daraus ergebenden politischen, wirtschaftlichen und technologischen Aufwand für ihre Förderung, Aufbereitung, den Transport und die Verteilung sowie über die jeweils erforderlichen Umwandlungstechniken und – schritte. Wir sind gezwungen, uns auf den Fluss einer Energie von der Quelle bis zum finalen Energienutzer einzustellen., Mit dem Wechsel zu Erneuerbaren Energien und damit zu vollständig anderen Energieflüssen ändert sich alles, sogar die Unternehmensformen.

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