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(c) bee-ev.deArtikel erschienen in neue energie, 30. September 2005 

Die Regenerativbranche muss der konventionellen Energiewirtschaft immer einen Schritt voraus bleiben, sagt Hermann Scheer. Nur so kann der Umbau zu anderen Strukturen gelingen.

So viel steht fest: Das Ergebnis der Bundestagswahl macht einen direkten gesetzgeberischen Angriff auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) unmöglich. Die Gefahr eines frontalen „roll-back“ ist abgewendet, zumindest vorerst. Eine solche Gefahr war real gegeben, und sie war ernster zu nehmen, als viele es sich vorstellen konnten. Die erklärten Präferenzen von CDU (quotierter Zertifikatehandel statt garantierter Einspeise- und Mindestpreisvergütung) und von FDP (Abschaffung des EEG) hätten den Befürwortern des EEG in der Union wenig Durchsetzungschancen gelassen – zumal ein schwarz-gelber Wahlsieg interpretiert worden wäre als generelles Votum für so genannte „marktorientierte“ statt für politisch regulierte Konzepte.


Fahrlässig wäre es jedoch, nicht mit erneuten Versuchen zu rechnen, erneuerbare Energien auszubremsen. Diese Versuche müssen ja nicht unbedingt den Weg über Parteien, Bundestag und Bundesregierung gehen. Das Instrumentarium der EEG-Gegner ist vielfältiger. Es darf auf keinen Fall unterschätzt und versäumt werden, die erneuerbaren Energien dagegen zu wappnen. Die Motive der EEG-Gegner in der Großstromwirtschaft sind unverändert ihr Angebotsmonopol unbedingt zu verteidigen. Es war so und es bleibt dabei: Ohne Konflikte ist der Durchbruch zu erneuerbaren Energien nicht zu haben – und damit auch nicht ohne Konfliktfähigkeit ihrer Protagonisten.

Zwar spricht alles immer dringlicher für erneuerbare Energien. Und alle geben sich als dessen Befürworter, ob sie es sind oder nicht. Und nicht einmal alle tatsächlichen Befürworter verfolgen wirklich weiterführende, raumgreifende und mittel- und längerfristig tragfähige Konzepte. Vor allem aber fällt auf, dass Deutschland nicht nur Schauplatz der gegenwärtig raschesten und umfangreichen Einführung von erneuerbaren Energien ist, sondern auch der einer heftigen Kampagne gegen diese. Der Hindergrund ist, dass wir uns bereits mitten im Hegemonialkonflikt zwischen den alten Trägern und den sich herausbildenden neuen Trägern der Stromversorgung befinden.

Fossile Energien sind ersetzbar
Seit dem Inkrafttreten des EEG am 1. April 2000 sind in Deutschland 15.000 Megawatt (MW) erneuerbare Energieanlagen installiert worden, nahezu ausnahmslos getragen von neu auf den Plan tretenden Betreibern und von Stadtwerken.
Die jährliche Einführungsrate liegt bei durchschnittlich 3.000 MW. Bei nur gleich bleibender jährlicher Einführungsmenge wird das offizielle Ziel des EEG, bis 2020 bei einem Stromversorgungsanteil von 20 Prozent angelangt zu sein, bereits im Jahr 2012 realisiert werden. Das war bereits absehbar, als im Sommer 2004 die letzte EEG-Novelle beschlossen wurde. Deshalb hatte ich bei der parlamentarischen Erarbeitung dieses Gesetzes – aber erfolglos – vorgeschlagen, das Ziel von 20 Prozent bis 2020 nicht in das Gesetz zu schreiben. Meine Befürchtung war, dass dieses Zeitziel von dem Moment an zum Argument für ein Beschneiden des EEG gewendet werden könnte, an dem es vorzeitig erreicht würde. Immerhin führte diese vorsorgliche Intervention dazu, dass die Formulierung „mindestens 20 Prozent“ in das Gesetz aufgenommen wurde.

Bleibt es kontinuierlich bei jährlich 3.000 MW neuen Regenerativ-Kapazitäten, so werden bis 2015 weitere 30.000 MW hinzukommen, und bis 2045 weitere 90.000 MW.

Dabei wird sich das Mischungsverhältnis unter den Erneuerbaren ändern: Die Einführungskurve für die Windenergie wird abflachen, die für die photovoltaische, bioenergetische und für die geothermische Stromerzeugung steil ansteigen. Gleiches könnte für die Kleinwasserkraft gelten, wenn die administrativen Schikanen aufhören, die Ausdruck eines ebenso isolierten wie verkürzten Natur- und Gewässerschutzdenkens sind. Bei einem gleichzeitigen Breiteneinsatz effizienterer Stromverbrauchstechnologien ist damit bereits jetzt handgreiflich absehbar, dass innerhalb von vier Jahrzehnten die atomare und die fossile Stromerzeugung in Deutschland vollständig abgelöst werden kann.

Die Stromwirtschaft hat das präzise erkannt. Ihr Ansinnen, 40.000 MW auslaufender Atom- und Fossilkraftwerke durch eine ebensolche Kapazität herkömmlicher Kraftwerke ersetzen zu wollen, ist nur dann realisierbar, wenn es ihr gelingt, das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu verwässern und die Investitionskontrolle über den Kraftwerksausbau zurück zu erobern. Andernfalls kann sie kaum noch die Investitionen in neue Großkraftwerke riskieren. Bei einem unaufhörlichen Anwachsen des Potenzials erneuerbaren Energien gibt es keinerlei Auslastungsgarantie mehr für ein neues Großkraftwerk, die ein solches für einen Zeitraum von mindestens 25 Jahren braucht.

Angriffe auf die Regenerativenergien gehen weiter
Das bedeutet im Klartext: Beim EEG geht es schon jetzt um weit mehr als um die Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien. Es geht ums Ganze der künftigen Stromerzeugung, um die unaufholsame Erosion der angestammten hegemonialen Stellung der Träger der herkömmlichen Stromwirtschaft. Es ist ein Strukturkonflikt auf Biegen und Brechen. Die Vorstellung, dass sich autonome Investitionen für erneuerbare Energie-Anlagen springflutartig und unberechenbar weiter entfalten, ist für die real existierenden Stromkonzerne Existenz bedrohend und macht deren Kraftwerksplanungen zwangsläufig zur Makulatur.

Mit weiteren Bremsversuchen gegenüber erneuerbaren Energien muss deshalb gerechnet werden. Sie können auf vielerlei Weise erfolgen, auch ohne Frontalangriffe auf das EEG, sondern durch eine Domino-Strategie. Etwa durch gezieltes Herausbrechen einzelner Bereiche, wie es gegen die Windkraft schon versucht wird, durch eine Vervielfältigung administrativer Hemmnisse auf regionaler Ebene. Dies ist der Weg, erst die bedrohlich gewordenen Windenergie abzuschließen, um sich dann die anderen der Reihe nach vorzuknöpfen, sobald diese zu sehr anwachsen.

Oder durch eine politische Erpressungsaktion, provoziert durch einen willkürlichen herbeigeführten ‚Black-out’, der der Windkraft zur Last gelegt wird. Oder über die EU-Komission, die ab einer bestimmten Einführungsmenge erneuerbarer Energien deren Vorrang infragestellt, weil sie das Prinzip des EU-Binnenmarkts gefährdet sieht. Oder über einen weiteren Anlauf beim Europäischen Gerichtshof, indem das Nebeneinander von EU-Strommarkt und dem Vorrang Erneuerbare Energien beklagt wird, sobald Deutschland die Zielmarke der EU von 22-Prozent-Anteil der Regenerativenergien im Stromsektor überschritten hat. In jedem Fall ist mit einer Fülle von Konflikten zu rechnen, die auf juristischer Ebene ausgetragen werden.

Argumentative Einfallstore für Anschläge gibt es viele, und sie reichen leider bis in das EEG selbst. Dazu gehört die vordergründig vielen einleuchtende, aber unsägliche Argumentation von der „Standorteffizienz“, von der die Inanspruchnahme des EEG abhängig gemacht werden soll. Eingeführt wurde dieses Kriterium vom Bundesumweltministerium in die EEG-Novelle von 2004 für die Windkraft. Auf Initiative der rot-grünen Regierungsfraktionen wurde das wieder gestrichen, aber über den Bundesrat wieder in das EEG bugsiert. Macht dieses Effizienzkriterium weiter Schule, wird das den Druck verstärken, Windkraft und Photovoltaik nur noch an ergiebigen Standorten zu fördern und damit deren räumliches Ausbaupotenzial empfindlich zu verkleinern.

Der fatale Ruf nach dem Wettbewerb
Ein anderes Einfallstor ist die selbst von manchen EEG-Befürwortern gepflegte These, man brauche das EEG nur noch für einen überschaubaren Zeitraum, bis Strom aus erneuerbaren Energien „wettbewerbsfähig“ sei. Doch was heißt das, da doch die Kalkulationskriterien – und damit die Preispolitik „am Markt“ – zwischen Produktion aus konventionellen Quellen und Regenerativenergien völlig unterschiedlich sind und deshalb kaum unmittelbar vergleichbar gemacht werden können? Es wird dabei bleiben, dass die Stromerzeugung aus Windkraft, Photovoltaik, Wasserkraft und Geothermie hohe Initialkosten für die Anlage und dann keine Brennstoffkosten mehr hat, ihre wettbewerbliche Produktivität also erst durch längerfristige, marktunübliche Kalkulationen eintritt. Schwarzstrom und Grünstrom sind nicht nur aus ökologischen und Verfügbarkeitsgründen unterschiedlich. Der Markt für erneuerbare Energie-Anlagen ist in erster Linie ein Technikmarkt und erst in zweiter Linie – wenn überhaupt – ein Energiemarkt.

Die Hegemonie der konventionellen Energieversorgung kann nur erfolgreich durchbrochen werden, sich die Verfechter erneuerbarer Energien in ihren Begründungen nicht den Denkkategorien der konventionellen Energieversorgung unterwerfen. Werden die erneuerbaren Energien an den überkommenen Funktionskriterien ausgerichtet, kommen sie in die Defensive. Die Philosophie des EEG ist die des prinzipiellen Vorrangs, was die Ausrichtung der Strukturen der Energieversorgung an den Funktionskriterien der erneuerbaren Energien bedeuten muss. Jede Verengung der Begründung auf die isolierte Frage jetziger oder auch nur anzustrebender Wettbewerbsfähigkeit mit konventioneller Energie führt dazu, alle anderen massiven Gründe für erneuerbare Energien abzuwerten. Der energetische Hegemonialkonflikt ist im Kern einer zwischen zwei Denksystemen über Energie. Nur wenn dieser ausgetragen wird, kann das uniformierte Energiedenken aufgebrochen werden, das den konventionellen Energiequellen und den auf diese zugeschnittenen Strukturen der Energiebereitstellung immer noch einen geistigen – und damit praktischen – Vorrang zusichert. Die Betonung des prinzipiellen – und damit nicht nur des einstweiligen Vorrangs erneuerbaren Energien allein sichert diesen die Kampagnen- und Durchsetzungsfähigkeit.

Dazu gehört nicht nur der Vorrang gegenüber der atomaren und fossilen Energiebereitstellung, sondern auch der Naturschutzvorrang gegenüber anderen Kriterien des Naturschutzes. Das bedeutet, dass die Debatte über die ökologischen Gefahrenhierarchie überfällig ist, um Widerstände gegenüber Standorten – und seinen es nur solche, die ein Repowering von Windkraftanlagen verhindern – überwinden zu können.

Schmelzende Gletscher und arktische Eismassen, Flut- und Dürrekatastrophen zeigen: Das fossile Energiesysteme verschont keinen Quadratmeter der Erdoberfläche mehr. Landschaftsschutz ist erst wieder durch den Wechsel zu erneuerbaren Energien gewährleistet. Deshalb ist es unabdingbar, den Auffassungen offensiv entgegenzutreten, die Standorte für Windkraft im Binnenland seien demnächst erschöpft. Eine Standortraumplanung muss demgegenüber entwickelt werden, die alle potenziell ergiebigen Standorte entlang der Eisenbahnstrecke und der Bundesfernstraßen erfasst.

Vordringlich ist auch die Mobilisierung von Hybridanlagen und von anlagenbezogenen Stromspeichern. Dadurch müssen Betreiber von Regenerativkraftwerken in die Lage kommen, kontinuierlich und bedarfsgerecht Strom anzubieten; und zum anderen erwächst daraus die Möglichkeit stromautonomer Versorgung – für den einzelnen, für Wohngebiete, Kommunen und Regionen. Die wichtigste Ergänzung zum EEG ist deshalb einen „Speicherbonus“ einzuführen – ein Vorhaben, für das die EEG-Protagonisten im Parlament bereits eine prinzipielle Verständigung erzielt haben. Für den weitern Durchbruch erneuerbarer Energien ist es notwendig, der kommenden Entwicklung und den konterkarierenden Kräften immer mindestens einen Schritt voraus zu sein.

Hermann Scheer ist Mitglied des Deutschen Bundestags und Präsident von EUROSOLAR e.V, der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien e.V.