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Artikel erschienen in Baden-Württemberg-Magazin, 04. Dezember 2005

Peter J. Webster vom Georgia Institute of Technology in Atlanta hatte noch eine Hoffnung: Die Stürme würden aus jeweils singularen, begrenzten, individuellen Ereignissen heraus entstehen. Aber nach 10 Jahren der Forschung und 3000 untersuchten Stürmen steht nun für ihn fest: das Klima hat sich insgesamt so sehr gewandelt, dass wir alle und überall mit zunehmend starken Stürmen, mit großer Hitze, mit großer Kälte und mit orkanbegleiteten Regenfällen zu rechnen haben. Er sieht den Grund in der zunehmenden Erwärmung unseres Planeten – ausgelöst durch willkürliches Handeln der Menschen. Auch Dr. Hermann Scheer, Träger des Alternativen Nobelpreises 1999, sieht uns alle in der Verantwortung für diese Entwicklung. Er spricht von Eingriffen in die Wärmeformel unseres Planeten. Er fordert dazu auf, das wissenschaftskalte Denken bei partikularen Arbeitsteilungen der Entscheidungseliten zu ändern. Und er hofft, dass die Menschen und nicht wirtschaftlich orientierte Vorgaben die Frage nach Energiequellen lösen.


Ein Interview mit Dr. Hermann Scheer, Träger des alternativen Nobelpreises 1999 für alternative Energien

Baden-Württemberg-Magazin: Herr Dr. Scheer, Naturkatastrophen, steigende Energiepreise, geringere Vorräte an konventionellen Energien – wie beschreiben Sie das Szenarium?

Dr. Hermann Scheer: Wissen Sie, wir sind vielleicht der einzige Planet, der im richtigen Abstand von rund 150 Mio. Kilometern um die Sonne kreist. Bereits eine Differenz von ein paar Kilometern: und schon ist’s zu heiß oder zu kalt. Abstand und Sonnenkraft ergibt die Wärmeformel – und die ermöglicht die Evolution. Aber: wir durchkreuzen diese Wärmeformel ständig!

BWM: Durch was geschieht dies?

Dr.H.S.: Ganz einfach: jede von uns produzierte Wärme verändert die Wärmeformel. Kernspaltung – also Atomenergie – verändert indirekt, sie benötigt unglaublich viel Kühlung und verändert die Wassertemperatur. Direkte Veränderungen kommen hinzu: Abgase, C0 2, Kraftwerke, um nur einige Beispiele zu nennen. Hinzu kommen die Veränderungen durch physikalische Eingriffe wie Rodungen, und anderes. Das alles verändert die Wärmeformel.

BWM: Und was passiert durch diese willkürliche Veränderung?

Dr.H.S.: Unter anderem verändert sich die Thermik – hier sehen Sie den Ursprung von Lothar, Katrina und Rita. Denn Wind und dessen extreme Formen wie Sütme und Orkane sind thermische Sonnenenergie – und unterschiedliche Erwärmungen führen zu thermischen Spannungen.

BWM: Schlägt denn die Natur so gezielt zurück?

Dr.H.S.: Eigentlich nicht gezielt – wenn sie zuschlägt, trifft sie wahllos alle. Die Natur ist eigentlich duldsam – aber wenn Grenzen erreicht sind, kippt sie ins Gegenteil.

BWM: Können Sie einmal Grenzen nennen?

Dr.H.S.: Kyoto – hier z.B. die amerikanische Weigerung mitzumachen, obwohl die USA zu den größten Verursachern zählen. Oder die Rodungen in Tropenländern – all das verändert dramatisch.

BMW: Kyoto nicht unterschrieben, wenig Hoffnung auf Begrenzungen – was passiert also?

Dr.H.S.: Ganz einfach – die Häufigkeit und die Heftigkeit von Naturkatastrophen nehmen jetzt zu: Dürre, Hitze, Kälte, Sturm, Wassermassen und Co.

BWM: Wenn wir Atomstrom und die konventionellen Energieversorger stoppen – wird’s zwar sauberer – aber wird’s in den Wohnungen nicht au kälter?

Dr.H.S.: Ach, wissen Sie – das ist doch der Aberglaube, der immer in die Stammtisch-Diskussionen eingebracht wird. Schauen Sie: wir haben im Winter bei uns im Durchschnitt um die 0 0C. Und im Sommer um die 20 0C. Um im Winter auf die 20 0C in unseren Stuben zu kommen, mobilisieren wir zusätzliche Energie. Der absolute Nullpunkt, den wir physikalisch kennen, würde ohne Sonne nach kurzer Zeit eintreten: ich spreche von – 273 0C. Die Sonne also macht z.B. die Winter-Differenz von 273 0C wett. Da sehen Sie die ganze Kraft der Sonnen-Ressource.

BWM: Da bekommt man ja vor jeder Sonnenfinsternis Angst ….

Dr.H.S.: Gar nicht so weit weg. Bei einer Sonnenfinsternis von einer Woche wäre nach dieser Woche die Erde am Ende. Ab 48 Stunden totaler Sonnenfinsternis würden wir alle erfrieren.

BWM: Wenn das alles klar ist – warum wird diese Energie erst jetzt und doch verhältnismäßig wenig genutzt?

Dr.H.S.: Da gibt’s zwei Gründe. Zum einen: Sonnenenergie ist kostenlos. Und Sie wissen ja: „Was nichts kostet, ist nichts wert!“. Aber ernsthaft: Wir haben die Ressource auch gedanklich noch gar nicht geortet. Wir sprechen zum Beispiel vom „Haus ohne Heizung“. Oder vom „Null-Energie-Haus“! Alles falsch: gemeint ist ein Haus ohne konventionelle Heizung. Gemeint ist das Haus, das warm ist ohne atomare oder fossile Energie. Wir denken falsch und darum drücken wir uns falsch aus. Gedanken aber sind für unsere Taten und Entscheidungen verantwortlich. Zum zweiten: Die Energieunternehmen fürchten den Wechsel und nutzen und etablieren massiv Privilegien mit politischer Unterstützung. Es ist eine gezielte Desinformation, die der Verunsicherung des Verbrauchers dient. So einfach muss man das sehen.

BWM: Das müssen Sie uns erklären …..

Dr.H.S.: Bisher haben wir wenige Anbieter mit langen Ketten wie Wegstrecken zu den Nutzern, also den Haushalten und gewerblichen Abnehmern. Heißt: Teure Fördertechniken, teure Energiewege, hoher Infrastrukturaufwand, aufwändige Energiewandlertechniken, riesige Anlagen. Im Fall der Sonnenenergie sinken alle Kosten für die Bereitstellung, wir erleben einen Wechsel von wenigen Anbietern zu zahlreichen, jede Monopolisierung ist ausgeschlossen, die Wege werden kurz, weil die Energie ja schon beim Nutzer ist und nur gewandelt werden muss. Das verändert deren Ertragslandschaft vollständig. Wenn sich das Denken und das Bewusstsein verändern, dann sehen wir eben nicht durch deren Ertragsbrille – sondern stellen fest: Sonnenenergie ist kostenlos, bei konventionellen Systemen steigen die Kosten – was wir ja gerade erleben. Konventionelle Ressourcen gehen zur Neige – höchste Zeit zum Umdenken. Abgesehen einmal davon, dass ich es persönlich für unverantwortlich halte, dass wir Atommüll produzieren, der rund 20.000 Jahre strahlen wird – das ist das zehnfache an Zeit seit Christi Geburt! Das Schöne an Sonnenenergie ist doch die Sauberkeit und die ständige Verfügbarkeit. Sie ist überall da – und kann dort gezapft werden wo sie notwendig ist: bis zur Türklingel.

BWM: Der Club of Rome hat sich 1972 schon mal geirrt, als er das Ende der Ressourcen ankündigte ….

Dr.H.S.: …weil er die Wirtschaftsprognose übernahm. Die lag bei +5% Energieverbrauch und +5% Wirtschaftswachstum – das war falsch. Wir hatten von 1990 bis 2004 einen um 50% gestiegenen Energieverbrauch. Laut Club of Rome wären es 150% gewesen. Aber: die Menge der Ressourcen war richtig berechnet: wir liegen heute bei einer verfügbaren Menge konventioneller Erdgas- und Erdöl-Ressourcen von vielleicht 35 – oder 50 Jahren. Das sollte uns nachdenklich machen: der Energieverbrauch in China ist riesig. Und denken wir an China und Indien zusammen: das sind 30% der Weltbevölkerung – alles verbrauchs- und wachstumsorientierte Menschen.

Hinzu kommt der ungebremste Tourismusboom, der zunehmende Welthandel – alles geht zu Lasten der verfügbaren Ressourcen.

BWM: Wie sieht also die künftige Energielandschaft des Herrn Dr. Scheer aus?

Dr.H.S.: Sonne, Wasserkraft, Wind, Biogenerator – vier Energiepotentiale, die immer vorhanden sind – individuell pro Landstrich einsetzbar. Damit übrigens ist auch die Biergartenfrage erledigt: „Was tun wir, wenn mal keine Sonne scheint …?“ Die Frage ist doch eine Beleidigung für jeden Ingenieur!

BWM: Wie weit sind wir denn heute mit erneuerbaren Energiequellen?

Dr.H.S.: Wir haben seit 2000 bereits 15.000 Megawatt installiert. Übrigens: zu über 90% von Newcomern gebaut. Und wir haben – da war ich stark beteiligt – ein Gesetz über erneuerbare Energien, das die garantierte Einspeisung und die garantierte Vergütung regelt für die autonomen Investitionen in der Gesellschaft. Das Gesetz übrigens findet weltweit Interesse und Verbreitung – inzwischen habe ich in über 30 Parlamenten das Gesetz vorgestellt: vor interessierten Regierungsmitgliedern.

BWM: Noch ein Wort zu den Arbeitsplätzen …

Dr.H.S.: Gerne. Sonnenenergie ist kostenlos, nur die Technik kostet was. Reflektoren, Photovoltaikanlagen, Ingenieurskunst, weltweite Kommunikation und Vermarktung unseres Wissens – ist doch toll, wie eine Gratis-Energie Umsatz, Ertrag und Arbeitsplätze schafft.

BWM: Herr Dr. Scheer, wir danken Ihnen für das Gespräch.

25 Jahre alternativer Nobelpreis

Der Nobelpreis für Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin, Literatur, Wirtschaftswissenschaften (Seit 1969) und als Friedensnobelpreis wird jedes Jahr am 10.12. vergeben. Der Begründer war Alfred Nobel.

Der Alternative Nobelpreis wurde vor jetzt 25 Jahren ins Leben gerufen: von Jakob von Uexküll. Der Name Uexküll war vor 150 Jahren in der Diskussion: der Biologe – Großvater von Jakob – diskutierte kontrovers mit Darwin_ während hier der strenge Ausleseprozess propagiert wurde, sah Uexküll eher den sanften Angleich, eine gemeinschaftliche Entwicklung.

Der Enkel Jakob von Uexküll übrigens verkaufte seine wertvolle Briefmarkensammlung, um das Preisgeld für seine Idee eines Alternativen Nobelpreises zu finanzieren – nachdem der Vorstand der Nobelstiftung seinen Vorschlag abgelehnt hatte, einen Nobelpreis für Ökologie, Entwicklung, Arbeit, Kultur und Menschenwürde zu vergeben.

Die mit diesem Preis ausgezeichneten Gruppen haben jeweils beispielhaft gezeigt, wie mit minimalen Mitteln Widerstände überwunden werden können und wie erfolgreich, konstruktiv und mutig an der Gestaltung der Zukunft gearbeitet werden kann. Preisträger sind unter anderem der Zukunftsforscher Robert Jungk, der Begründer der Sekem-Farm Ibrahim Abouleish für die Entwicklung eines Geschäftsmodells für das 21. Jahrhundert, in dem wirtschaftlicher Erfolg soziale und kulturelle Entwicklung der Gesellschaft fördert – und Dr. Hermann Scheer für seinen Einsatz für die Nutzung und Verbreitung des Wissens um die Solarenergie. In diesem Jahr fand die Feier zum 25jährigen Jubiläum in Salzburg statt.

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