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(c) photocase.comArtikel erschienen in taz, die Tageszeitung, 08. Januar 2003 

Auch wenn Deutschland den Krieg im UN-Sicherheitsrat ablehnt, wird es sich nicht international isolieren. Wer das denkt, verwechselt die Bush-Regierung mit der Welt. Ein ungeschriebenes, aber wirksames Gesetz politischer Kommunikation lautet: Wer ein "Leitmotiv" unwidersprochen lässt, muss sich dessen Handlungslogik beugen. Die einzige Chance, sich dem zu entziehen, besteht darin, schnell zu widersprechen.

Zum Beispiel dem Leitmotiv, Deutschland isoliere sich, falls die Bundesregierung als Sicherheitsratsmitglied mit Nein stimmen würde - weil womöglich die mit Vetomacht ausgestatteten fünf ständigen Mitglieder und die westlichen Verbündeten den Krieg befürworteten. Für diesen Fall wird das Menetekel hoffnungslosen politischen Einflussschwundes in der UN und in der internationalen Politik beschworen. Solche Warnrufe werden nicht nur von den deutschen Oppositionsparteien ausgestoßen, sie erschallen auch in zahlreichen Kommentaren. Verbunden mit dem Vorwurf, Bundeskanzler Schröder habe sich "zur Unzeit" im Wahlkampf gegen den Krieg ausgesprochen, Druck von Saddam Hussein genommen - und so eine Position bezogen, die er wohl nicht durchhalten könne. Sich zu isolieren soll offenbar untragbarer sein als eine Kriegsbefürwortung, sogar für manche Zeitgenossen, die einen Irakkrieg ablehnen. Die über die eigene Auffassung gestellte Konformität mit den USA gerinnt somit zum Fetisch der Außenpolitik, mit dem alle Bedenken gegen einen Irakkrieg beiseite gewischt werden. Auf diese Weise lassen sich auch Gedankenspiele begründen, eventuell im UN-Sicherheitsrat trotz Nichtbeteiligung notfalls für einen Irakkrieg zu stimmen, um mit einem Nein nicht isoliert dazustehen. Der CDU-Außenpolitiker Pflüger gab als einzige Grenze aktiver deutscher Solidaritätsbereitschaft mit den Krieg führenden USA nicht einmal mehr das Grundgesetz an, sondern unsere gegenwärtig nicht ausreichenden militärischen Fähigkeiten!

Eine Frage wird dabei gar nicht mehr gestellt: Von wem isoliert sich Deutschland bei einem kriegsablehnenden Votum denn? Die Isolationswarner suggerieren eine Situation, in der außer Deutschland alle Welt für den Krieg sei. Tatsächlich würde sich aber die deutsche Regierung nur von der Bush-Regierung noch isolierter finden, als sie es eh schon ist. Darüber hinaus würde sie bei denjenigen Regierungen auf wenig Gegenliebe stoßen, die sich aus benennbaren unfreiwilligen Gründen in das Fahrwasser der USA ziehen lassen und die um ihrer außen- und innenpolitischen Selbstlegitimierung willen es sicher nicht gerne sehen, wenn Deutschland ausschert und zum prominenten westlichen Kronzeugen der Kriegsablehnung wird.

Tatsache ist aber auch: Die deutsche Regierung isolierte sich von der eigenen Bevölkerung, wenn sie entgegen ihren eigenen, klaren und begründeten Warnungen nun einem Krieg zustimmen würde. Sie isolierte sich gegenüber der wohl überwältigenden Mehrheit von UN-Mitgliedstaaten, vor allem gegenüber der arabischen Staatenwelt und den zahlreichen Entwicklungsländern, die schon jetzt wegen der gestiegenen Ölpreise in einer ökonomischen Krise stecken. Zudem isolierte sich Deutschland gegenüber den christlichen Kirchen Europas.

Die meisten europäischen Regierungen sind eher froh, dass die deutsche Regierung ihnen die politische Last abgenommen hat, sich offen gegen die amerikanische Kriegsambition zu stellen. In der Bevölkerung des EU-Raumes ist die deutsche Regierung in den letzten Monaten sogar zum Hoffnungsträger einer Kriegsverweigerung geworden, und selbst unter den Kriegsgegnern in den USA, die dort wachsende Zustimmung erfahren, wird keine Regierung der westlichen Welt positiver bewertet als die deutsche. Ohne die politischen Spannungen, die es bei einer anhaltenden Kriegsablehnung der Bundesregierung geben würde, herunterspielen zu wollen: Von einer internationalen Isolierungsgefahr kann nur gesprochen werden, wenn man die Bush-Regierung und diejenigen, die ihr folgen sollten, mit der Welt verwechselt.

Verliert Deutschland also seinen internationalen Einfluss? Einfluss auf wen und für was? Die Bundesregierung könnte wohl kaum ihren Einfluss erhöhen, wenn sie sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit von der Kriegsgegnerschaft zur -befürwortung bewegen ließe. Die Frage internationalen Einflusses entscheidet sich kaum daran, wem oder wie lange Bush, Cheney und Rumsfeld die Hände drücken. Die amerikanische Außenpolitik ist hoch pragmatisch, interessen- und nicht gefälligkeitsgeleitet. Wirtschaftssanktionen? Den Ölhahn zudrehen, wenn sie die Golfregion unter Kontrolle haben? Alles Unsinn. Andere Regierungen dauerhaft gegen die deutsche orientieren? Die Bush-Regierung würde im Kriegsfall alle Hände voll zu tun haben, die Scherben dieses Krieges wieder zu kitten und zu verhindern, dass die noch vorwiegend schweigende internationale Mehrheit gegen ihre eigen- und allmächtige Politik endlich laut protestiert.

Von einer deutschen Isolierungsgefahr kann keine Rede sein - eher von einer amerikanischen, selbst wenn es Bush und Blair gelingen sollte, ein mehrheitliches Sicherheitsratsvotum zustande zu bringen und ein Veto Chinas, Frankreichs und Russlands zu verhindern. Die Bush-Regierung hat sich schon durch die Ablehnung des Weltklimaabkommens und des Internationalen Strafgerichtshofes isoliert. Sie wird dies zusätzlich tun, sollte durch den Irakkrieg die internationale Antiterrorkoalition zerbrechen und ein Bombenhagel über Bagdad die Frage aufwerfen, wie das mit der Genfer Konvention vereinbar ist. Und selbst bei der Frage der Nichtverbreitung von Atomwaffen - dem offiziellen Hauptgrund einer Strafaktion gegen den Irak - ist die Kriegslegitimation höchst fragwürdig: Bush hat die Clintonsche Unterschrift unter einen weltweiten Atomwaffenteststopp zurückgezogen, die im Jahr 2000 die Vorbedingung dafür war, dass der atomare Nichtverbreitungsvertrag zeitlich unbefristet gelten soll.

Die berühmte Frage des amerikanischen Protestsängers Woody Guthrie "Which side are you on?" wird von der eingefahrenen deutschen außen- und sicherheitspolitischen Expertenwelt stets damit beantwortet: auf der amerikanischen, was immer die USA auch tun.

Besser ist, sich von einer als abwegig erkannten Politik der amerikanischen Regierung für einige Zeit zu isolieren statt von der eigenen Bevölkerung - das wäre das Leitmotiv einer würdigen, selbstbestimmten Außenpolitik. Lieber eine andere Politik als eine, die man für unverantwortlich hält. Ganz so neu ist das nicht. Auch bei den Weltklimaverhandlungen war die Position, nicht nur die deutsche: Lieber ohne Bush ein Klima-Protokoll als mit Bush keines. Wer sich in der Irakkriegsfrage isoliert, wird nicht die Abstimmung im Sicherheitsrat zeigen, sondern die weitere Entwicklung. Die Bundesregierung hätte ihre kriegsablehnende Haltung nur dann zur "Unzeit" artikuliert, wenn sie sich davon aus vordergründiger Isolationsangst abbringen lassen würde. Denn: Außenpolitischer Einfluss gründet sich auf Respekt, nicht auf treue Gefolgschaft.