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Artikel erschienen in Kursbuch Nr. 144, 19. April 2001

Als Krise definierte Jürgen Habermas einen offenkundig gefährlichen, aber überwindbaren Zustand: die bisher gewählten Lösungsansätze sind ungeeignet, und die geeigneten sind noch nicht gefunden oder probiert worden. Die große Frage ist, ob die globalen Klimaveränderungen noch eine solche ökologische Weltkrise darstellen oder bereits unabwendbares Schicksal sind. Und wenn wir auf ersteres hoffen dürfen, ist die politische Frage, ob der Ansatz der Weltklimakonferenzen, den George Bush gerade zu Tode reiten versucht, überhaupt zur Lösung der Krise geeignet wäre.

Dass jedenfalls die Pyromanie enthemmter fossiler Energienutzung existenziell gefährlich für künftige Lebenschancen der Menschheit geworden ist, wird nur noch von wenigen "Wissenschaftlern" bestritten, die meist bei den Hauptprofiteuren des fossilen Energiesystems auf der Pay Roll stehen. Sie suggerieren, in der Erdgeschichte habe es immer ein auf und ab von Wärme- und Kälteperioden gegeben, die jeweils alles vorherige durcheinander brachten. Sie vertuschen dabei den entscheidenden Unterschied: Klimaveränderungen, die die Lebensbedingungen aller organischen Lebewesen einschneidend veränderten, haben sich in der Erdgeschichte in sehr langen Zeiträumen vollzogen; entsprechend langsam entstanden oder verschwanden Arten. Im Gegensatz dazu geschehen die gegenwärtigen Prozesse des Klimawandels sprunghaft, in immer häufigeren und breitere Spuren ziehenden ökologischen Großkatastrophen. 850 zählte die Münchener Rückversicherung für das Jahr 2000, eine Vervielfachung gegenüber dem Jahr 1990, und mit Ausnahme einiger Erdbeben und Vulkanausbrüche sind sie Unfällen und Emissionen des menschengemachten fossilen Energiesystems geschuldet.

Sicher ist, dass die Schritte, diese Entwicklung abzuwenden, bisher nicht einmal richtig gestartet wurden.

Der Weg dahin ist jedoch nicht der, den die Weltklimakonferenzen einzuschlagen versuchten: in deren Mittelpunkt standen bisher Versuche, den Ländern Quoten zur Minderung ihrer klimaschädlichen Emissionen vorzugeben. Doch der Energieverbrauch der Industrieländer ist unverhältnismäßig hoch gegenüber dem der Entwicklungsländer. Weil aber ein Konsens unter ungleichen Emittenten angestrebt werden musste, landeten die Verhandlungen zwangsläufig bei unabweisbaren Zugeständnissen an die Entwicklungsländer, diesen mehr Emissionen vertraglich zu erlauben als sie gegenwärtig verursachen. An diesem Punkt hakte das Konzept des Emissionshandels ein, mit dem sich Industrieländer und deren Energiekonzerne von eigenen Reduktionsverpflichtungen durch den Kauf von "Emissionsrechten" freistellen wollten. Damit versuchten die Weltklimakonferenzen die Quadratur des Kreises. Sie wollten das Weltklima retten und die Verursacher gleichzeitig schonen. Diesem Versuch stelle ich einen völlig anderen Weg entgegen, der unmittelbar am Gefahrenherd ansetzt - und der jedem klar sein könnte, der es wollte:

Da die Katastrophenursache der fossile Energieeinsatz ist, einschließlich der Atomspaltung des fossilen Uranminerals, kann die globale Gefahrenabwendung nur im Verzicht auf diesen Energieeinsatz liegen (neben großangelegten Aufforstungsmaßnahmen, um klimadestabilisierende Übermengen an CO2 durch umfassend nützliche Kohlenstoffbindungen in neuen Wäldern aus der Atmosphäre zurückzuholen). Da aber auf Energieeinsatz prinzipiell nicht verzichtet werden kann, weil ohne Energie keinerlei Aktivität möglich ist, müssen fossile Energien konsequent durch Erneuerbare Energien ersetzt werden. Also durch die direkt und indirekt dem Erdball vom Sonnensystem angebotener: Sonnenwärme, Sonnenlicht, von der Sonne kondensiertes Fließwasser, von den täglichen solaren Temperaturschwankungen ausgehende Wind- und Wasserströmungen und Wellen, und Bioenergie also aus Pflanzen photosynthetisch hergestellte Energie. Das wäre das Programm: dauerhafte und emissionsfreie bzw. -neutrale Energiequellen statt erschöpflicher und umweltzerstörender.

Dies zu erkennen, setzt eine unverstellte Sicht auf das tatsächliche Potential Erneuerbarer Energien und seiner technischen Nutzungsmöglichkeiten voraus. Deren natürliches Potential entspricht - unerschöpflich für die Zeitdauer der weiteren Existenz des Sonnensystems von etwa sieben Milliarden Jahren - jährlich dem 15.000fachen des Jahresverbrauchs an fossilen Energien. Die Internationale Energie-Agentur prognostiziert in ihrem "World Energy Outlook" für das Jahr 2010 einen weltweiten Jahresstromverbrauch von 20,8 Billionen Kilowattstunden Strom, wovon 3,4 Billionen aus großen Wasserkraftanlagen und nur 154 Mrd. aus anderen Erneuerbaren Energien kommen würden. Gemessen an diesem Energiebedarf müssten also etwa 17,2 Billionen Kilowattstunden aus Erneuerbaren Energien statt aus konventionellen Energien gedeckt werden, um zu einer emissionsfreien Stromerzeugung zu kommen. Das ist leichter realisierbar als die konventionelle Energiewissenschaft unterstellt. Man muss nur die praktische Phantasie von der Leine des herrschenden Denkens lassen: Eine Windkraftanlage mit der Kapazität von 1,5 MW produziert bei durchschnittlichen Windbedingungen jährlich etwa 3 Millionen Kilowattstunden; für eine Strommenge von 17,2 Billionen müssten also weltweit 5,7 Mio. Windkraftanlagen der genannten Bauart installiert werden. So viele Windräder zur Stromerzeugung, allerdings deutlich kleinerer Bauart, drehten sich in den 30er Jahren allein in den ländlichen Gebieten der USA - bevor die Überlandleitungen kamen, die den Strom aus den Großkraftwerken lieferten. Analog dazu ergibt die Hochrechnung der Photovoltaik auf den Gesamtbedarf:
Schon bei dem heutigen - also noch weit verbesserungsfähigen - Jahreswirkungsgrad von 10% der Solarzellen und bei einer durchschnittlichen globalen Sonneneinstrahlung von 1700 Kilowattstunden pro Quadratmeter wären etwa 100.000 Quadratkilometer Solarzellenmodule nötig, um den für 2010 errechneten Gesamtstrombedarf der Welt zu erzeugen - ein Bruchteil der mit Gebäude überdeckten Flächen, in die man diese Module integrieren könnte. Dies sind aber nur zwei - in ihrer Eindimensionalität unnötige Optionen - für Vollbedarfsrechnungen. Denn bei den Erneuerbaren Energien werden die Energieformen stets vielfältig gemischt. Und neben Windenergie und Photovoltaik gibt es noch ungezählte Möglichkeiten der Stromerzeugung mit kleinen Laufwasser- und Wellenkraftwerken, größeren solarthermischen Kraftwerken im Sonnengürtel der Erde oder Gezeitenkraftwerken in Flachküstengebieten, das Erdwärmepotential oder eben das der Bio-Energie. Indem all diese Möglichkeiten sich wechselseitig ergänzen, muss keine Option vollständig ausgeschöpft werden. So beantwortet sich auch die übliche Frage, was denn geschehen wird, wenn keine Sonne scheint oder der Wind nicht weht.

Der Wärmebedarf in Häusern, der in Europa etwa ein Drittel des Gesamtenergiebedarfs ausmacht, könnte in den nächsten Jahrzehnten allein durch das solare Bauen befriedigt werden, indem auf verschiedenste Weise die Solarwärme vom Gebäude eingefangen und gespeichert wird; derartige energieautarke Nullemissionshäuser gibt es, schon zu nur noch geringfügigen Mehrkosten, sogar im nicht unbedingt sonnenprivilegierten Deutschland. Im Bereich des fossilen Kraftstoffbedarfs für Straßen-, Wasser- und Lufttransporte rechnet die IEA für 2010 einen Jahresbedarf von 1,3 Mrd. Tonnen Erdöl. Die naheliegendsten Möglichkeiten, solche Mengen zu ersetzen, vermitteln die Bio-Energie. Auch deren natürliches Potential wird grob unterschätzt. Die gesamte natürliche photosynthetische Jahresproduktion - also aller Pflanzenwuchs auf dem Erdball - beträgt 220 Mrd. Tonnen Trockenmasse, die jeweils den halben Energiegehalt von Erdöl haben. Bei einem durchschnittlichen Energieertrag von nur 15 t Trockenmasse pro Hektar - ein gemäßigter Durchschnittswert - ergibt sich, dass daraus ein Erdöläquivalent von 7,5 t gewonnen werden kann. Für 1,3 Mrd. t ergäbe dies einen energiepflanzlichen Flächenbedarf von 1,75 Mio. qkm aus nachhaltiger Forst- und Landwirtschaft. Demgegenüber stehen erdenweit 40 Mio. qkm Waldfläche, 10 Mio. qkm landwirtschaftlicher Nutzfläche und 49 Mio. qkm Wüsten- und Halbwüstengebiete, von denen ein großer Teil revegetationsfähig ist, und sei es durch Aufforstung.

Schon diese mir skizzenhaft zusammengestellten Daten machen deutlich, dass der gesamte Energiebedarf der Menschheit durch Mischstrukturen Erneuerbarer Energien befriedigt werden könnte, auch wenn für die Realisierung ein längerer Zeitraum als bis zum Jahr 2010 nötig wäre. Der Weg dahin kann aber verkürzt und erleichtert werden durch Energieeffizienzsteigerungen und damit verbundene Spareffekten sowie durch die Optimierung der Umwandlungstechniken bei den Erneuerbaren Energien, bisher nur ein Stiefkind der öffentlichen und privaten Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.

Die Realisierung dieser Energiewende zu einer solaren Weltwirtschaft erfordert vielfältige politische und wirtschaftliche Kraftanstrengungen. Doch dabei versagen sowohl traditionelle wie moderne Politik, "old economy" wie "new economy", überkomplexe moderne Natur- und Technikwissenschaft wie unterkomplexe Vereinfacher der postmodernen Kultur. Wenn es ans Eingemachte der Ökosphäre geht, sehen auch die lautstärksten Vorbeter des "Neuen" alt aus. Sie schwelgen zwar von neuen Revolutionen - durch Bio-, Informations- oder Nanotechnologien - doch zugleich konservieren sie die fossile Energiebereitstellung. Sie begeistern sich an Ideen der Begrünung des Mars und an Hotelbauten auf dem Mond - und betrachten es gleichzeitig als unrealistisch, den grünen Planeten grün zu erhalten. Noch immer werden für die Entwicklung eines Atomfusionsreaktors - also für den Versuch, den Fusionsprozess im 150 Mio. km entfernten Sonnensystem auf der Erde in einer technischen Anlage zu kopieren - auch im rot-grünen Deutschland noch mehr Forschungsmittel bereitgestellt als für die diversen technischen Möglichkeiten, die ohnehin einstrahlende Sonnenenergie in eine Nutzenergie umzuwandeln. Nicht Neugier auf die Alternative unerschöpflicher und emissionsfreier Energienutzung, sondern Altgier auf erschöpfliche und umweltzerstörende fossile Energien und die sich daraus ergebenden zentralistischen Dinosauriertechnologien dominieren. So werden selbst grenzenlose Technikoptimisten zu Technikpessimisten und sind selbst geisteswissenschaftliche Avantgardisten geistige Epigonen des fossilen Systems.

Die energetische Verödung der natürlichen Lebensgrundlagen resultiert vor allem aus einer grundlegenden Krise des politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Denkens. Bis in die Weltklimapolitik hinein: 1992 auf der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro und deren "Agenda 21"-Manifest offiziell eingeleitet, sollte sie den Ausweg aus der Krise bringen. "Last exit Rio" hieß es ebenso alarmierend wie hoffnungsvoll. Die anschließende Serie von Weltklimakonferenzen der Regierungen sollte den Konsens über die gemeinsam erkannten praktischen Konsequenzen aus einer gemeinsam gewordenen Gefahrenerkenntnis ziehen.

Knapp zehn Jahre später steht nun diese Politik mit leeren Händen da, obwohl es noch 1997, als sich die Weltklimakonferenz auf das Kyoto-Protokoll verständigte, so schien, als würde das Licht am Ende des Tunnels sichtbar. George Bush junior, dessen Vater immerhin die noch unverbindlichen Rio-Dokumente mitgetragen hatte, spielt nun ganz aggressiv die Rolle des globalökologischen Übeltäters. Doch steht er damit keineswegs allein. Schon sein Vorgänger Bill Clinton und dessen Vize Al Gore, 1993 noch Hoffnungsträger einer ambitionierten Weltklimapolitik, haben diese während ihrer Amtszeit bis ins Unkenntliche kompromittiert. 1995, auf der Weltklimakonferenz in Berlin, scheiterte jede Vereinbarung am "Njet" der Energiepolit-Komissare in den USA. Al Gore, Autor des Buches "Balance of Earth", hatte es vorgezogen, gar nicht erst in Berlin zu erscheinen, um sich angesichts seiner früheren Forderungen nicht vor der Weltöffentlichkeit blamieren zu müssen. 1997, in Kyoto erzwang die führende Politik- und Wirtschaftsnation Verwässerungen zu ihren Gunsten; die ihr proportional zugedachten Emissionsminderungen seien wirtschaftlich unzumutbar. 1999 blieb eine weitere Weltklimakonferenz in Bonn zur praktischen Umsetzung des schon vereinbarten Kompromisses erfolglos. Ende 2000 scheiterte die nächste Konferenz in Den Haag an weiteren unverdaulichen Verschlechterungsforderungen aus Washington. Doch auch die EU nimmt den Mund voller, als sie schlucken will.

Warum hat bisher kein einziges Mitgliedsland der EU das Kyoto-Protokoll von 1997 parlamentarisch bestätigt? Zum Vergleich: die Ratifizierung des wesentlich komplizierteren WTO-Abkommens, das im April 1994 in Marakesch unterzeichnet worden war, war bereits zehn Wochen später ratifiziert! Oder: Warum hat die EU parallel zu den Weltklimakonferenzen der 90er Jahre zusätzliche Steuerbefreiungen für fossile Energien mit einer Europäischen Richtlinie initiiert, eine ökologisch motivierte EU-Energiesteuer immer wieder scheitern und das beschlossene Forschungsprogramm für Erneuerbare Energien durch die EU-Kommissarin Cresson blockieren lassen? Haben nicht einige Regierungen die amerikanische Regierung dankbar die Drecksarbeit machen lassen, nach dem bewährten diplomatischen Trick: "zustimmen, weil letztlich Ablehnung gesichert"? Es lag keineswegs nur an den vereinten fossilen Energieinteressen unter amerikanischer Führung, dass der einzige wirklich konkrete Beschluss der Weltklimakonferenzen stets der zur Durchführung einer Folgekonferenz war! Global reden, national aufschieben: das ist die Bilanz eines Jahrzehnts Weltklimapolitik. Die amerikanische Rolle dabei ist, die volonté generale der globalen fossilen Energiewirtschaft zu vollstrecken. George Bush beerdigt insofern nur konsequent eine längst verstümmelte Strategie. Die kongeniale Formel der deutschen Energiewirtschaft lautet "freiwillige Selbstverpflichtung" der Energiewirtschaft, was immer ein Begräbnis zweiter Klasse für ökologische Initiativen war. Die größten Fallstücke gegenüber einer ökologischen Energiewende liegen also in der bisherigen Weltklimapolitik selbst.

Die Gründe dafür sind schon in der "Agenda 21" vorgezeichnet, die es nicht wagte, mit den Strukturen der umweltzerstörenden Energiebereitstellung zu brechen und deren Denkweisen hinter sich zu lassen; die also mit den Repräsentanten des umweltzerstörenden Energiesystems neue Strategien der globalen Umwelterhaltung zu entwickeln versuchte. Akkurat listet das "Agenda 21"-Dokument die globalen Umweltgefahren auf - von den Klimaveränderungen bis zum Ozonloch, vom Waldsterben bis zur grassierenden Wüstenausdehnung, von der Bodenerosion bis zur Gewässerverschmutzung. Zu jeder einzelnen Gefahr werden separate Maßnahmen empfohlen - eine beeindruckende Enzyklopädie umweltpolitischer Vorschläge, dem partikularisierten Wissenschaftsverständnis getreulich folgend, das zu komplex verstandenen Problemen die daraufhin spezialisierten Rezepturen anbietet. Dass diese Umweltgefahren im Kern eine gemeinsame Ursache haben - nämlich die fossilen Energieeinträge und -emissionen, ob in Form direkt oder (im Falle petrochemischer Düngemittel) indirekt genutzter Energie, ob durch energetisch ungenutzte organische Abfälle oder durch Havarien von Erdöltankern -, bleibt dabei ausgeblendet. Auch die Autoren und Verfechter der "Agenda 21" sind nicht auf den Punkt gekommen: auf die "Agenda 1", die Ablösung fossiler durch Erneuerbare. Damit bleibt dieses Weltdokument dem Vorurteil verhaftet, das bis heute die globale Energiediskussion verengt: fossile Energien sind unverzichtbar, weil die Erneuerbaren Energien nicht ausreichend seien, um die Energiebedürfnisse der Menschheit zu befriedigen.

Dieses wissenschaftlich nicht begründbare Vorurteil wurde tonangebend für die Weltklimakonferenzen. Doch damit wurde der Zukunftsgarten den Böcken ausgeliefert: Die fossile Energiewirtschaft kann nicht neutral sein gegenüber den verschiedenen Energiequellen. Sie ist mit ihren Infrastrukturen und Techniken der Energiebereitstellung und ihren Unternehmensformen maßgeschneidert für die fossilen Energien - und damit deren Flussverlauf von relativ wenigen Förderplätzen zu den zahllosen Energiekonsumenten auf dem Erdball. Da Erneuerbare Energien im Gegensatz dazu als natürliche Umgebungsenergie jeweils in der selben Region mit technischer Hilfe geerntet und umgewandelt werden können, wo die Energie auch genutzt wird; da sie also nicht konzentriert gefördert, sondern breit eingefangen werden können; da die Primärenergie von der Natur kostenlos oder aus regionalen Land- und Forstwirtschaften geliefert wird und die relativ wenigen Großanlagen fossiler Energieversorgung durch zahlreiche, miteinander korrespondierende oder gar autonom arbeitende Kleinanlagen ersetzt werden - aus all diesen Gründen erodieren aktiv genutzte Sonne, Wind, Wasser und Biomasse das etablierte Energiesystem.

Das fossile Energiesystem ist mit seinen längst globalisierten Bereitstellungsketten - von der Förderung über zahlreiche aufwendige Transport- und Verarbeitungsschritte bis zum Endverbraucher - in diesen gefesselt. Es ist nicht möglich, Erneuerbare Energien ökonomisch sinnvoll zu nutzen und gleichzeitig die Strukturen konventioneller Energieversorgung aufrechtzuerhalten. Mit Erneuerbaren Energien die fossilen Energien zu substituieren, führt nicht nur zur Transformation, sondern zur allmählichen Auflösung der Energiewirtschaft. Deren angestammte Rolle wird ersetzt durch die Produzenten der neuen Energietechniken, durch die solaren Hausbauer und durch die Land- und Forstwirtschaft als Energielieferant. Da die Sonne und der Wind nicht privatisierbar- und monopolisierbar sind, verschwinden mit ihrer energetischen Nutzung die Lieferanten von Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran Zug um Zug von der Bildfläche des Erdballs. Dieser Strukturwandel ist die einzige ökologische Chance und die dafür erforderliche industrielle Mobilisierung der Technologien zugleich die am weitesten tragende neue ökonomische Chance der Menschheit - und ihr Preis. In der Technikgeschichte seit Beginn des Industriezeitalters gibt es kein Beispiel, dass eine Mobilisierung neuer Techniken durch deren Opfer erfolgte - und keines, in dem eine technische Revolution zeitgleich auf der Grundlage einer internationalen Konvention stattfand, getragen von einem Konsens aller Regierungen. Man muss Bush fast dankbar sein, dass er diesem Spiel ein Ende bereitet, auch wenn seine Motive andere sind. Ohne den Ausstieg der amerikanischen Regierung wäre der globale Emissionshandel etabliert worden, der den Trägern der fossilen Energiewirtschaft ausgeliefert wäre mit zahllosen Missbrauchs- und Umgehungsmöglichkeiten zum Schutz etablierter Strukturen. Die Blockade Bushs ist damit auch die Chance für den direkten Weg zum Klimaschutz: die Initiierung einer Einführungsdynamik für Erneuerbare Energien, die auf den Konferenzen bisher allenfalls eine Nebenrolle spielten.

Ende der 70er Jahre veröffentlichte der Club of Rome einen Bericht über die seinerzeit bevorstehende technische Revolution durch die Mikroelektronik samt ihren umwerfenden wirtschaftlichen Folgen für Branchen und Unternehmen und den sozialen Spannungen. Wären die Autoren deshalb zu dem Ergebnis gekommen, die Last dieses Strukturwandels sei zu groß und die Einführung der Mikroelektronik müsse - alle oder keiner - auf der Grundlage einer globalen Konvention mit nationalen Einführungsquoten und, analog zum von der Weltklimakonferenz empfohlenen Handel mit Emissionsrechten, zur wechselseitigen Verrechnung von neuen bzw. wegfallenden Arbeitsplätzen führen, wären sie als ökonomische Dilettanten verlacht worden. Würden Regierungen kostenspielige Initiativen - etwa zur Unterbindung von Kinder-, Frauen- und Drogenhandel - nur dann ergreifen, wenn das andere auch tun, so wäre jedem die Absurdität offensichtlich. Doch bei den Weltklimakonferenzen wurden solche Dilettantismen und Absurditäten, triefend vor energiewirtschaftlichem Strukturkonservatismus, zur letzten globalen umweltökonomischen Weisheit erkoren. Deren strategischer Denkfehler ist, dass - trotz der ökologischen Weltkrise, deren Folgelasten zwangsläufig zu einer wirtschaftlichen Weltkrise führen müssen - die ökologische Energiewende immer nur als wirtschaftliche Last wahrgenommen wird. Eine untragbare Last ergibt sich nur für die fossile Energiewirtschaft. Für die Gesellschaft aber eine Chance. Bei jeder anderen Technologie heißt es, ob bei Regierungen oder Wirtschaftsunternehmen, dass man schneller sein müsse als die anderen, weil dies der industriellen Profilierung und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit nutze. Bei den Techniken zur Überwindung der ökologischen Weltkrise dagegen dominiert bis heute der wirtschaftssoziologische Unfug, diese nur dann zu mobilisieren, wenn es die anderen gleichzeitig auch zu tun bereit seien. Überdies ist es politisch naiv, die Rettung des Weltklimas - für die wir uns in einem Wettlauf mit der Zeit befinden - ausgerechnet den denkbar langsamsten Entscheidungsprozess zu überlassen, dem der globalen Konsensfindung zwischen divergierenden Interessen.

Die bisherige Weltklimapolitik ist gescheitert an Missverständnissen und Mesalliancen zwischen internationalen Organisationen, Regierungen, Parlamenten, Parteien, des partikularisierten Wissenschaftsbetriebs, ja den verschiedenen Wirtschaftszweigen selbst, die die potentiellen Gewinner der ökologischen Energiewende sind, und der fossilen Energiewirtschaft, die ihr großer und einziger Verlierer sein wird. Deren Restchance läge darin, von der Rolle des Energieanbieters in die des Produzenten neuer Energietechniken zu mutieren, so wie es BP oder Shell versuchen. Sie sind dazu aber weniger prädestiniert als diejenigen Wirtschaftszweige, von der Elektrotechnik bis zur Bautechnik, die eingeübt sind in der Produktion und Vermarktung von Techniken. Fossile Energiekonzerne werden auch in der neuen Rolle niemals mehr die Umsätze machen wie sie es durch die konventionelle Energiebereitstellung gewohnt sind, schon weil ihre Rolle als Primärenergielieferant entfallen wird. Deshalb sind sie als "Vorreiter" ungeeignet. Die Weltökologiekrise wird nicht durch solche Allianzen überwunden, sondern durch bahnbrechende Akteure aus der Gesellschaft, die die Industrialisierung Erneuerbarer Energie- und Effizienztechniken und die wirtschaftskulturelle Mobilisierung der dafür notwendigen Träger und Investoren vorantreiben. Die bisherige Weltklimapolitik hat sich erledigt. Dass dies durch das Verhalten der amerikanischen Regierung offenkundig wurde, ist die Ironie ihres Scheiterns - und der Tatsache geschuldet, dass die amerikanische Regierung nicht nur Partner in der Mesalliance mit der Energiewirtschaft ist, sondern der Präsidentschaftsclan die Ölindustrie selbst ist.

Die Weltklimakonferenzen bisherigen Musters sind passé. Ihr eigentlicher Stellenwert war die internationale Anerkennung der Weltklimagefahren. Ihr künftiger Stellenwert ist, diese Anerkennung des Problems gegenüber Verdrängungsversuchen aufrechtzuerhalten - und könnte vielleicht sein, endlich die richtigen Themen in die Weltöffentlichkeit zu zerren, um die sie sich bisher aus Rücksicht auf die Mesalliance herumgedrückt haben: etwa die abenteuerlichen jährlichen Subventionen für die fossilen Energien in Höhe von 300 Mrd. Dollar jährlich oder die gemeingefährliche Treibstoffsteuerbefreiung für Flugtreibstoffe, obwohl der dramatisch wachsende Flugverkehr die gefährlichste aller Klimazeitbomben ist. Zu einem globalen Konsens der Abschaffung dieser global umweltzerstörenden und sogar markt- und wettbewerbswidrigen Subventionierung des fossilen Weltkriegs gegen die Natur werden sie nicht kommen. Aber deren Thematisierung kann dazu beitragen, die Augen für die richtigen Allianzen der Akteure für das Lösungspotential durch Erneuerbare Energien zu öffnen. Krisen, wie gesagt, kann man lösen. Die Sonnenstrategie zeigt: die Klimakatastrophe ist kein irreversibles Schicksal.