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Artikel erschienen in Der Tagesspiegel, 14. Juli 2001 

Der internationale Klimaschutz kommt nicht voran. Doch das liegt keineswegs nur an dem Starrsinn der USA, die das Kyoto-Protokoll nicht wollen. Die Weltklimakonferenzen selbst sind das Problem.

Vor der nächsten globalen Klimakonferenz, der sechsten seit 1995, ist die Lage trüb, aber immerhin scheint die Verantwortungslage klar: Von einer Mehrheit für das Kyoto-Protokoll scheint die Zukunft der Weltzivilisation abzuhängen - dennoch droht ein erneutes Scheitern. Dabei sind die Rollen klar verteilt: Die Schurken sind der US-Präsident Bush und die bei ihm mitspielenden Regierungen, die sich jeder verbindlichen Reduktionsverpflichtung verweigern wollen; die Guten sind die EU-Staaten, die im Verein mit den internationalen Umweltorganisationen versuchen zu retten, was zu retten ist.

Doch dieser Kontrast verschwimmt bei näherem Hinsehen. Das Schwarze wird dabei nicht heller, aber das Weiße dunkler, und dies gleich mehrfach - betreffs der Glaubwürdigkeit der Akteure, des tatsächlichen Inhalts des Kyoto-Protokolls und der Möglichkeit, es praktisch umzusetzen. Das Protokoll fußt auf einer fragwürdigen (umwelt-)ökonomischen Philosophie. Man kann mit einigem Recht bezweifeln, ob solche Verhandlungen sinnvoll sind. Das Einzige, was dabei bisher erreicht wurde, ist die weltweite, regierungsoffizielle Anerkennung, dass das Klima gefährdet, dass der fossile Energieverbrauch der Grund dafür ist und dass diese globale Pyromanie unsere Lebensgrundlagen bedroht. Und das ist zu wenig.

Verhandeln, verwässern, verhandeln

Bush ist keineswegs der einzige Klimaschurke in dem jahrelangen Verhandlungsmarathon der Weltklimakonferenzen, der 1992 in Rio de Janeiro begann. Schon unter der Clinton/Gore-Regierung hat die USA gemauert. Zwar hat sie 1997 die prozentualen Reduktionsverpflichtungen unterschrieben, jedoch um den Preis der Verwässerung und weiterer Verhandlungen über Instrumente, mit denen man sich den Auflagen wieder entziehen kann.

Doch hartnäckige Ausflüchte, um keine Konsequenzen ziehen zu müssen, gibt es auch in Europa. Im Oktober 1992, vier Monate nach Rio, beschloss die EU eine Richtlinie zur großzügigen Steuerbefreiung fossiler Energien, u.a. für mineralölverarbeitende Betriebe und Flugtreibstoffe. 1994 wurde die neue Welthandelsordnung vereinbart, bejubelt als Ausweitung des Welthandels, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass dies auch das Klima zusätzlich anheizen wird. 1995 wurde dann die Europäische Energiecharta vereinbart, die für fossile Energien die Niedrigstzölle der WTO festlegte, um die Energieströme schneller und billiger fließen zu lassen. Von einer europaweiten Emissionssteuer auf fossile Energien, für die 1988 der damalige EU-Kommissar Ripa di Meana den ersten Entwurf vorlegte, ist bis jetzt noch nichts zu sehen. Ja, möglicherweise haben sich manche europäische Regierungen nur deshalb für eine Weltklimakonvention eingesetzt, weil klar war, dass sich die USA sperren.

Gewiss: Heute scheint das europäische Engagement für das Kyoto-Protokoll einhellig und ernsthaft zu sein. Aber das ist auch nicht schwer, weil Kyoto, so wie es ist, einer Karikatur ähnelt. Die CO2 Reduktionsziele fallen - angesichts der rapiden Zunahme des Weltenergieverbrauchs insbesondere in Asien - so mager aus, dass damit der Gefahr nicht beizukommen ist. Auch die vorgesehene Milliarde Dollar jährlich für umweltfreundliche Energiebereitstellung in Entwicklungsländern ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein - für konventionelle Energieanlagen werden jährlich 400 Milliarden Dollar ausgegeben. Dass künftig die Mittel ja vielleicht steigen könnten, dass die Verpflichtungen künftig weitergehend werden könnten, tröstet wenig. Denn wir haben nicht mehr viel Zeit. Vor allem aber: Die in Kyoto vorgesehenen Instrumente sind stumpf.

Länder wie Russland, die auf Grund ihrer wirtschaftlichen Misere unterhalb ihrer festgelegten fossilen Emissionsobergrenze bleiben, dürfen laut Kyoto-Protokoll ihre nicht genutzten "Emissionsrechte" an andere Länder verkaufen. Diese dürfen dafür ihre Emissionsgrenzen überschreiten. Und das bedeutet auch, dass ein Land umso mehr Verkaufsscheine anbieten könnte, je mehr Atomkraftwerke es baut. Das mögliche Ergebnis: Keine Gesamtreduktion an fossiler Energie bei den Käufern der Emissionsrechte, aber dafür mehr Atomkraft andernorts.

Gemäß Kyoto kann ein Industrieland auch Emissionsgutscheine durch Investitionen für effizientere Kraftwerke in Entwicklungsländern erhalten - auch dann darf es selbst mehr CO2 in die Luft blasen. Wenn es also in Indien ein Kohlekraftwerk mit einem Wirkungsgrad von 40 Prozent - also auf dem Stand der Technik - baut, das ein altes, dreckigeres ersetzt, gibt es eine entsprechende Gutschrift. Faktisch ist dies eine Exportprämie. So begünstigt Kyoto die Expansion der Energiekonzerne in Entwicklungsländer - und damit den Export von Großkraftwerken in Entwicklungsländer, in denen die meisten Menschen in ländlichen Räumen leben und eher dezentrale Energien brauchen. Ob es sogar noch einen Bonus gibt, wenn nicht Ersatzkraftwerke, sondern bloß zusätzliche fossile Kraftwerke in Entwicklungsländern gebaut werden, gehört zu den künftigen Streitthemen bei einer Umsetzung des Kyoto-Protokolls. Noch mehr gefällig? Strittig ist auch, welchem Land ein gekauftes Emissionsrecht oder ein Bonus zu Gute kommen soll. Wenn ein transnationales Unternehmen in Russland oder andernorts investiert - geht es dann nach Sitzland des Hauptvorstands oder nach Nationalität der (wechselnden) Aktionäre? Kanadische Investoren bauen in Deutschland bereits Windkraftanlagen, finanziert über das hiesige Erneuerbare-Energien-Gesetz, und buchen die vermiedenen Emissionen bei sich ab. Darf sich Kanada weiterhin diese CO2 Reduzierung anrechnen lassen - oder gehören sie Deutschland, dessen Stromkunden die Windkraftanlagen bezahlen? Oder wird doppelt abgebucht?

Wenn CO2 bindende Anpflanzungen anerkannt sind: Werden dann Abholzungen zum Malus, auch dann, wenn Waldsterben durch sauren Regen oder Stürme verursacht ist, deren Ursache fossile Kraftwerke anderswo sind? Und wie lange muss eine Anpflanzung existieren, um als CO2-Minderung anerkannt zu werden? Wie lange muss sie kontrolliert werden? Wie wird die Anpflanzung berechnet, wenn demnächst reklamiert wird, dass auch die unterschiedliche CO2-Bindekraft der Pflanzen berücksichtigt gehört? Und verführt dies nicht zu Monokulturen schnell wachsender Pflanzen?

Die Kontrollen, die in den Anhängen zum Kyoto-Protokoll hunderte Einzelvorschriften enthalten, bis hin zu örtlichen Inspektionen, sind uferlos. Wo inspiziert werden soll, muss Ort und Größe der Maßnahmen international registriert werden. Also womöglich jeder einzelne gepflanzte Baum weltweit und jede kleine Photovoltaikanlage?

Damit läuft der Klimaschutz in die Falle der Totalbürokratisierung -, obwohl doch Flexibilität, Kosteneffizienz und Marktwirtschaft versprochen waren. Kyoto taugt als Beschäftigungsprogramm für Statistiker und als üppige Einnahmequelle für Emissionshändler, die schon jetzt von einem neuen Milliardenmarkt für Provisionsgeschäfte träumen - und kaum zum Klimaschutz. Das Kyoto-Protokoll geht überdies davon aus, dass überall funktionsfähige Verwaltungen existieren. Doch noch nicht mal in Deutschland, einem der bestverwalteten Länder, ist es bislang gelungen, die Wärmeschutzverordnung auch nur annähernd umzusetzen.

Das Protokoll hat mit seinen Anhängen einen derartigen Umfang angenommen, dass wohl nur noch seine Autoren verstehen, worum es geht. Das erleichtert, was verhindert werden soll: die zahllosen Tricksereien, die jeder undurchsichtige Dschungel von Regeln, Ausnahmen und Details produziert.

Warum ist das so? Hätte es Alternativen gegeben? Die Weltklimakonferenzen haben Klimaschutz stets als wirtschaftliche Last verstanden. Folgerichtig wurde die Lastenverteilung zum Dreh- und Angelpunkt der Verhandlungen. Es ging also ständig darum, das Klima zu schützen - und gleichzeitig den Hauptverursacher der Schäden zu schonen. So macht man Kreise eckig.

Die Beendigung der fossilen Energieorgie durch erneuerbare Energien und durch effiziente Umwandlungs- und Nutzungstechniken kann aber einen wirtschaftlichen Nutzen bringen, der weit über die damit verbundenen Lasten hinausgeht. Doch die Klimaschutzkonferenzen zählen nur die Kosten, nicht den Nutzen.

Auf den ersten Blick erscheint dies als intelligente wirtschaftliche Lösung: Man investiert dort, wo der größte CO2-Minderungseffekt erzielt werden kann. Damit aber wird den Menschen zugemutet, den Smog in ihren Städten weiter hinzunehmen, weil man mit dem Geld, das man brauchen würde, um ihn zu beseitigen, auf der anderen Halbkugel der Erde vielleicht noch mehr Umweltentlastung erzielen kann. Diese Idee erscheint als Wundermittel, um einen kosteneffektiven Klimaschutz zu praktizieren - aber sie ist kulturlos. Denn damit wird unterstellt, Kostenreduktion sei das einzige Motiv wirtschaftlichen Handelns. So redet man den Menschen die Bereitschaft zu einer vielleicht auch teuren Eigeninitiative aus. Die unmittelbare Lebensqualität und ästhetische Bedürfnisse rücken in den Hintergrund. Nach der Philosophie des Kyoto-Protokolls müssten streng genommen die vielen lokalen "Agenda 21"-Gruppen ihre Initiativen einstellen - und fordern, dass statt des geforderten solarbeheizten Schwimmbades das Geld für Maßnahmen irgendwo in Afrika verwendet wird. Kaum zu glauben, dass selbst Umweltökonomen die Reduzierung des ökologischen Themas auf die Kosteneffizienz von CO2-Minderungsmaßnahmen gutheißen. Denn eine ökologische Wirtschaftsbetrachtung muss sich auf Kreisläufe beziehen und nicht auf einen aus den jeweiligen Zusammenhängen gelösten Punkt.

In der Kulturgeschichte der Technik gibt es kein Beispiel einer internationalen Einführung von Technik nach Länderquoten. Stets setzten sich Techniken in einem dynamischen Prozess durch, in dem einige Avantgarde spielten und andere nachzogen, sobald sie deren Vorzüge erkannt hatten. 1978 gab es einen Bericht des Club of Rome, der die kommende Revolutionierung der Wirtschaft durch die Mikroelektronik aufzeigte - die Chancen ebenso wie den zu erwartenden Niedergang ganzer Wirtschaftszweige und Regionen samt der sozialen Anpassungsprobleme. Hätte der Club of Rome deshalb empfohlen, die Mikroelektronik international gleichzeitig und sortiert nach Länderquoten einzuführen - die Autoren wären als ökonomische Dilettanten verlacht worden, die eine globale Investitionslenkung einführen wollten. Die Mikroelektronik verändert die Produktionsvorgänge bis in ihre Verästelungen. Es wäre ein Hirngespinst gewesen, ihre Einführung aus Gründen internationaler Wettbewerbsgleichheit davon abhängig zu machen.

Dies alles gilt auch für ökologische Energietechniken, die ebenfalls den gesamten Wirtschaftsprozess betreffen. Deren Einführung im global administrierten Gleichschritt zu versuchen, produziert mehr Lähmung als Bewegung. Das Kyoto-Protokoll kann höchstens im theoretischen Modell funktionieren. Trotzdem glauben seine Verfasser und Anhänger daran, weil sie meinen, auf dem Papier alle Probleme gelöst zu haben. In der Praxis wird es politisch, wirtschaftlich und technisch scheitern.

Theorie gut - Praxis mies

Dies alles ist die zwangsläufige Folge davon, dass die einzelnen Schritte des Strukturwandels zu einer ökologischen Energieproduktion zum Gegenstand globaler Verhandlungen gemacht wurden. Solche Verhandlungen konnten erfolgreich sein, wenn es um punktuelle Verbote geht: wie beim Montreal-Protokoll, das den Einsatz von die Ozonschicht gefährdenden Kühlmitteln verbietet, wie beim Verbot chemischer Waffen oder dem Vertrag zum Schutz der Antarktis. Diese Beispiele taugen jedoch nicht als Muster, wenn es um die ökologische Reform des Wirtschaftsprozesses geht.

Die Weltklimakonferenzen dienten bisher vor allem als Ersatzhandlung. Man konferiert und verhandelt - also tat man doch etwas. Zwischenzeitlich fühlt sich jeder frei, weiterzumachen wie bisher. Stets war der einzige konkrete Beschluss, dass es eine Folgekonferenz gibt. Das wird auch jetzt in Bonn kaum anders sein. Schon 1987, als der UN-Bericht "The Common Future" erschien und allen Staaten sofortiges ökologisches Umsteuern nahe legte, wurde dieses fast überall vom Ergebnis der Umsetzungskonferenz 1990 abhängig gemacht. Diese wiederum verwies auf die Rio-Konferenz, und diese auf die Weltklimakonferenzen. Globale Umweltkonferenzen als Verschiebebahnhöfe.

Was die Weltklimakonferenzen hätten leisten können, haben sie nicht angepackt - etwa die Aufkündigung der Steuerbefreiung für Flugtreibstoffe, weil der expandierende Luftverkehr der gefährlichste Klimakiller ist, oder den Abbau der Subventionen für fossile und atomare Energien, die weltweit bei jährlich 300 Milliarden Dollar liegen.

Und das Positive? Es gibt, dank der globalen Bemühungen um den Weltklimaschutz, eine Institutionalisierung des wissenschaftlichen Klima-Panels. Und die Klimaberichte erzeugen weltweit Handlungsdruck. Doch gehandelt werden muss und kann ohne Klima-Protokoll - und weit über dessen Bestimmungen hinaus.