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Artikel erschienen in Blätter für deutsche und internationale Politik 9/2001, 29. August 2001

„Let’s improve the atmosphere“, hieß es auf Grußanzeigen des Bundesumweltministeriums zur Bonner Weltklimakonferenz – der achten seit 1992. Dabei war schon vor der Konferenz klar, daß selbst ein nicht verwässertes Kyoto-Protokoll im optimalen Realisierungsfall bis zum Jahr 2012 kaum mehr bewirken könnte, als die Emissionen auf den schon brisant klimagefährdenden Stand des Jahres 1990 zurückzuführen.

Auf Basis der nicht mehr zur Debatte stehenden Vorentscheidungen ging es also kaum noch um eine Verbesserung der Klimabedingungen, sondern um das Aufhalten weiterer Verschlechterungen. Das Zitat, und mehr noch die Tonart, mit der die Konferenzteilnehmer im Chor mit akkreditierten Umweltorganisationen das Ergebnis öffentlich als Erfolg feierten, steht in auffallendem Kontrast zum prekären Zustand des Weltklimas, den das Ergebnis von Bonn nicht verbessern kann. Das Wuppertal-Institut rechnet in einer Kurzanalyse mit Emissionssteigerungen bis zum Zieljahr 2012 von 10%. Doch die Debatte über die Bewertung des Kyoto-Protokolls scheint gelaufen. Pacta sunt servanda, wohl oder übel – oder mit einem Aphorismus von Stanislaw Lec gesprochen: „Wer das Niveau heben will, muß die Ansprüche senken.“

Tatsächlich muß die Debatte erst beginnen – nicht mehr vorrangig um die Ergebnisse, sondern um die Frage, ob sich der Weg über Weltklimakonferenzen als geeignet erwiesen hat. So verständlich es ist, auch minimale Ergebnisse der Öffentlichkeit als Erfolg zu präsentieren: Gemessen an den Gefahren und damit gegebenen Herausforderungen haben sich die Weltklimakonferenzen als Handlungsmuster nicht bewährt. Obwohl fast alle denken, man müsse den einmal eingeschlagenen Weg beharrlich fortsetzen, sind Überlegungen überfällig, ob es nicht doch Alternativen dazu gibt. Einzubeziehen ist dabei die Frage, ob solche Konferenzen nicht vielleicht sogar mehr geschadet als genutzt haben. Diese ist schon dadurch aufgeworfen, daß das letzte Jahrzehnt nicht nur das der unaufhörlichen Weltklimakonferenzen war, sondern gleichzeitig das des größten Zuwachses an Emissionen in der Weltgeschichte – nämlich über 30%; und das nicht nur in Ländern mit wirtschaftlichem Nachholbedarf, sondern auch in solchen, die sich seit Jahren offiziell zum Klimaschutz bekannten.

Weltklimakonferenzen dürfen nicht nur daran gemessen werden, was sie in der konkreten Konstellation unter den Verhandelnden erreicht haben. Es geht auch darum, was seit der Eröffnung der Konferenzserie versäumt, vertagt, ausgespart, unterlassen und verspielt wurde – da sie das Instrument der Staatenwelt zum Weltklimaschutz sein sollen und zu sein beanspruchen. Und die Bilanz der Schattenseiten erweist sich als so gravierend, daß es unverantwortlich wäre, nicht die Frage nach geeigneteren Handlungsoptionen zu stellen. „Let’s improve the policy“, lautet die Anforderung an die Klimapolitik nach Bonn.

Dies gilt umso mehr, als die Ansprüche an eine Weltklimakonferenz in den Monaten vor der Bonner Konferenz drastisch gesunken sind. Anders ist nicht erklärbar, warum nun ein Ergebnis begrüßt wird, das noch im Dezember 2000 auf der Weltklimakonferenz in Den Haag durchfiel. Die Zumutungen an das Kyoto-Protokoll, die von Japan, Australien und Kanada durchgedrückt wurden, gehen nämlich deutlich über Bedingungen hinaus, die diese im Verein mit den USA seinerzeit einforderten. Damals provozierten sie die EU dazu, die Konferenz – unter dem Beifall der Umweltverbände – platzen zu lassen. Offensichtlich hat der amerikanische Präsident Bush diesen Szenenwechsel von der Position „lieber gar kein Abkommen als ein schlechtes“ zu der „lieber ein noch schlechteres Abkommen als gar keines“ bewirkt.

Für die Erfolgsinterpretation werden drei Gründe in Anspruch genommen:
Erstmals habe sich die EU aufgerafft, ein internationales Abkommen mit globalem Anspruch ohne die USA zu beschließen und die Federführung zu übernehmen, deshalb bedeute das Protokoll einen politischen Durchbruch. Mit ihm sei immerhin ein Grundstein gelegt, auf den man nun in weiteren Weltklimakonferenzen für den Zeitraum nach 2012 aufbauen könne. Da gleichwohl die Substanzarmut des Ergebnisses ins Auge springt, müsse es – so einige kritische Befürworter – nun eine Klimapolitik der „zwei Geschwindigkeiten“ geben: Neben dem Kriechgang à la Kyoto einen schnelleren Gang einzelner Länder, die sich zu ihrem eigentlichen wirtschaftlichen Vorteil als treibende Kraft engagieren.

Diese Interpretation der Weltklimakonferenzen wirft jedoch mehrere kritische Fragen auf:


1. Wie lange trägt das psychologische Erfolgsergebnis von Bonn?

Besteht, da dessen Substanz wenig erfolgversprechend ist, nicht sogar die Gefahr eines psychologischen Rückschlags, wenn demnächst anhaltende globale Emissionssteigerungen weltweit für Unruhe sorgen? Wenn ernüchternde Beispiele faden-scheiniger CO2 -Minderungsprojekte in Form menschenvertreibender Staudammprojekte oder fossiler Kraftwerkslieferungen nach dem Stand der gegebenen Technik in Entwicklungsländern die Runde machen oder Japan und Kanada monokultivierte Wälder vom CO 2 -Schuldkonto abbuchen können, während sie zugleich andernorts Naturwälder abholzen? Wenn Emissionshändler das neue Provisionsgeschäft aufmachen und die sogenannten „flexiblen Mechanismen“ den Klimaschutz weltweit in ein bürokratisches Prokrustesbett legen?

2. Kann nach dem trüben Resultat einer neunjährigen Konferenzserie ernst-haft angenommen werden, deren Fortsetzung für den Zeitraum nach 2012 bringe den großen Sprung zu umfassenden Emissionsverminderungen?

Emissionsminderungen von 2% – und diese auch nur bei den Industrieländern unter den Vertragsstaaten – im Laufe der nächsten elf Jahre stehen 60% notwendiger Emissionsreduzierungen bis zum Jahr 2050 gegenüber, die die UN-Klimaforschung für geboten hält!

3. Auch wenn sich einige Länder dazu durchringen, die ökologische Energiereform schneller voranzutreiben:

Wie soll das über die im Protokoll vereinbarte Emissionsminderung spürbar hinausgehen können, wenn eine Quotenübererfüllung gegen Entgelt an jene Länder abgetreten werden darf, die unterhalb ihrer Zielmarken bleiben? Und wieviele Staaten werden über diese hinausgehen, nachdem schon ein Jahrzehnt lang Verhandlungen als Handlungsersatz dienen konnten? Spricht das Protokoll die meisten Länder nicht eher von weitergehenden Initiativen frei?

Auf den ersten Blick wirkt der Grundgedanke von Weltklimakonferenzen überzeugend: Ein globales Problem müsse global – also gemeinsam – aufgegriffen werden. Die Regierungen aller Länder müssen ihre unmittelbare Verantwortung erkennen und in den Prozeß des Klimaschutzes verbindlich einbezogen werden. Das Instrument dafür sind globale Verhandlungen über ein gemeinsames Vorgehen, damit sich keiner mehr entziehen kann. Dies klingt so selbstverständlich, daß über einige Grundfragen kaum noch nachgedacht wird – auch wenn sie sich nach dem kläglichen Ergebnis eines verstümmelten Kyoto-Protokolls aufdrängen:

Warum soll ausgerechnet der denkbar langsamste politische Entscheidungsprozeß – also der einer vom Konsensprinzip abhängigen globalen Vertragsstaatenkonferenz – zu den notwendigen schnellen und umfassenden Lösungsansätzen kommen können? Warum und aufgrund welcher Voraussetzungen sind anderweitige internationale Vertragsverhandlungen erfolgreich gewesen oder gescheitert? Vor allem aber: Ist der Gegenstand des Weltklimaschutzes – nämlich eine technologische und strukturelle Transformation der Energiebereitstellung – überhaupt geeignet für solche Entscheidungsforen?

Einsicht gegen strukturelle Interessen?

Einsichten in unübersehbar eklatante Gefahren sind keine Selbstverständlichkeit. Daß die Weltklimagefahren und ihre Ursache – fossiler Energieeinsatz – auf globaler Ebene anerkannt wurden, ist zweifellos ein nicht zu unterschätzender Erfolg, zu dem die Weltklimakonferenzen beigetragen haben, wenn auch nicht allein. Daß es immerhin so weit kam, geht nicht zuletzt auf den noch von US-Präsident Carter in Auftrag gegebenen „Global 2000“-Bericht aus dem Jahr 1981, an dem auch dessen Nachfolger nicht mehr vorbeikamen, und auf die „Agenda 21“ der Rio-Weltkonferenz von 1992 zurück.

Doch diese allgemeine Einsicht, die zur Einsetzung des International Panel on Climate Change (IPCC) führte, bedeutet offenkundig allein keine konkrete praktische Einsichtsfähigkeit. Mit der Installierung der Weltklimakonferenzen im Nach-Rio-Prozeß wurde den Regierungen nämlich zugleich eine wohlfeile Ausrede serviert, die jeweils eigene ökologische Energiereform bis zum Zustandekommen eines Weltvertrags aufzuschieben. Zu ihrem Hauptargument wurde, daß nur durch die globale Rahmenbedingung Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten werden könne. Damit haben sie weitgehend erfolgreich nationale Initiativen wie die Erhöhung fossiler Energiebesteuerung – also ein schnelleres Vorgehen einzelner Länder – blockieren können und dabei ihre Hände in globaler Unschuld gewaschen. Damit hatten die Klimaverhandlungen einen strukturkonservierenden Effekt. Das energiewirtschaftliche Großereignis seit 1992 war nicht die schon überfällige ökologische Energiewende, sondern die bisher größte Expansion der energiewirtschaftlichen Interessenmacht und ihre weitere Internationalisierung mit Hilfe der forcierten Liberalisierung, jeweils kräftig sekundiert von den Regierungen und entsprechenden Gesetzen. Die strukturelle Macht der Hauptverursacher des Klimaproblems ist stabiler denn je – wovon nur die ökologische Semantik ablenkt, derer sie sich zwischenzeitlich bedienen. So wenig sich die Regierungen in ihrer jeweils nationalen Politik von der klassischen Rolle als Schirmherren der jeweiligen energiewirtschaftlichen Interessen lösen konnten, so wenig können sie es, wenn sie sich auf Weltklimakon-ferenzen versammeln. Kein Zufall, daß die wichtigsten Themen gar nicht auf deren Tagesordnung kommen: Weder eine globale CO2 -Abgabe noch die Aufhebung der weltweit geltenden Steuerbefreiung für Flugtreibstoffe, obwohl der drastisch ansteigende Flugverkehr der gefährlichste einzelne Klimakiller ist – und auch nicht die Abschaffung der konventionellen Energiesubventionen, die weltweit bei etwa 300 Mrd. Dollar jährlich liegen, obwohl ein solcher Schritt sogar vorzüglich zur plakatierten Idee der Wettbewerbsgleichheit im WTO-Prozeß passen würde.

Es ist auch kein Zufall, daß sich die Weltklimakonferenzen statt dessen auf Instrumente wie den Emissionshandel versteiften, womit vordergründig bestechende „all-winners“-Lösungen versprochen wurden. Umweltökonomen, die solchen Instrumenten das Wort reden, erhoffen sich von ihnen eine Versöhnung des Klimaschutzziels mit den Interessen der fossilen Energiewirtschaft. Diese aber spekuliert auf die Bewahrung ihrer Strukturen und die globale Kontrolle der Energieinvestitionen. Solche vermeintlich realistischen Ansätze lassen sich auf die Behauptung der etablierten Energiewirtschaft ein, daß ihre strukturellen Interessen identisch seien mit den volkswirtschaftlichen Interessen – weshalb ihre Zusatzkosten für Klimaschutz auch volkswirtschaftliche Kosten seien. Wo nur noch von Kosten und Lasten geredet wird, rückt der wirtschaftliche Nutzen des Klimaschutzes in den Hintergrund.

Verhandlungen für globale Abkommen können deshalb wahrscheinlich nur dann wirklich erfolgreich sein, wenn der Verhandlungsgegenstand überschau-bar und eingrenzbar ist, nur vereinzelte Interessen negativ berührt werden – oder wenn sich die dominanten Interessen auf breiter Front Vorteile von den Ergebnissen versprechen. Wenn es um Klimaschutzverhandlungen geht, sind Energieversorgung und -verbrauch insgesamt der Gegenstand. Dieser ist weder gut zu überschauen noch einzugrenzen. Wenn Verhandlungen hierzu einen klimaschützenden Effekt haben sollen, der den Aufwand rechtfertigt, sind empfindliche Einschnitte in die energiewirtschaftliche Interessenfront unvermeidbar. Daraus ergibt sich, daß keine erfolgsversprechenden Voraussetzungen für konsensual ausgerichtete Regierungskonferenzen vorliegen.

Das Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozonschicht hatte dagegen einen solchen überschaubaren und nur wenige Interessen tangierenden Gegenstand. Es ging, mühsam genug, um die Zurückdrängung der Interessen bestimmter Kühlmittel- und Kühltechnikproduzenten. Der Antarktis-Vertrag kam zustande, bevor sich die Interessenten eingenistet und im großem Stil investiert hatten. Das Walfang-Abkommen berührt nur einen kleinen Teil der Fischereiländer und der Fischindustrie. Das WTO-Abkommen berührt zwar alles, entspricht aber den Interessen der einflußreichsten Staaten und Akteure der Weltwirtschaft. Internationale Abrüstungs- und Rüstungskontrollabkommen haben wiederum zwar einen überschau- und isolierbaren Gegenstand, dieser kollidiert aber mit einflußreichen rüstungswirtschaftlichen Interessen. Deshalb kommen sie meist nur dann zustande, wenn sie – wie im Fall des Verbots chemischer Waffen – die Kerninteressen der Rüstungswirtschaft nicht sonderlich berühren und einen Industriezweig wie die chemische Industrie betreffen, dessen Hauptgeschäft bei ziviler Produktion liegt. In anderen Fällen war der Preis für ein Rüstungskontrollabkommen eine Kompensation der betroffenen Wirtschaftsinteressen, also die Initiierung neuer Rüstungsrunden in nicht kontrollierten Bereichen.

Auch in das Kyoto-Protokoll sind Kompensationsmaßnahmen für die betroffene Energiewirtschaft eingebaut. Nicht nur der Emissionshandel und die Verrechnung von energiesparenden Investitionen in Entwicklungsländer müssen so bewertet werden, sondern auch die in Bonn vereinbarten Ausgleichsleistungen für die Ölförderländer, falls deren Ölabsatz leiden sollte. Diese sogenannten „flexiblen Mechanismen“ machen deutlich, daß der Kompromiß im weitgehenden Verzicht auf die Strukturreform der Energiebereitstellung lag. Stillschweigende Prämisse ist die Steigerung der Kosteneffizienz des fossilen Energiesystems, nicht dessen Substitution durch ein auf erneuerbaren Energien basierendes System. Der Wechsel zu emissionsfreien und unerschöpflichen Energien ist jedoch der nervus rerum jeder nachhaltigen Klima- und Umweltstrategie. Wer diesen als nachrangig ansieht, braucht mit einer globalen Klimaschutzstrategie gar nicht erst anzufangen. Geht es aber um die Substituierung, schließt das eine wirtschaftliche Kompensation der fossilen Energiewirtschaft aus. Eine ökologische Energiewende ist ohne die berühmte „schöpferische Zerstörung“ (Schumpeter) der konventionellen Energiewirtschaft nicht realisierbar. Die Mobilisierung erneuerbarer Energien bedeutet die synchrone und ersatzlose Ablösung der fossilen Primärenergiebereitstellung und der dazu notwendigen Infrastrukturen und Unternehmensformen, da die erneuerbare Primärenergie der Solarstrahlung oder des Windes von der Natur kostenlos geliefert wird und die der Biomasse den Wechsel von den Öl-, Erdgas-, und Kohlelieferanten zu einer sich darauf einstellenden Land- und Forstwirtschaft mit zwangsläufig anderen Trägerstrukturen bedingt.

Da sich die Beteiligten der falschen Prämisse unterworfen haben, konnten sie der immer absurder werdenden Logik des Verhandlungsverlaufs nicht mehr entgegentreten – außer durch den Aufbau eines Kontrollsystems gegen den Mißbrauch der „flexiblen Mechanismen“. Die Entwicklung zu weitgehender Verwässerung (im besten Fall) oder gar (wahrscheinlicher) zur Kompromittierung des Weltklimaschutzziels wurde aus den vorgenannten Gründen von dem Augenblick an zwangsläufig, an dem die Entscheidung fiel, Weltklimaschutz über das Instrument einer globalen Regierungskonferenz mit dem Ziel gleicher und verbindlicher Verpflichtungen erreichen zu wollen. Wenn schon im rot-grün regierten Deutschland – siehe die anhaltenden Auseinandersetzungen um ein Kraft/Wärme-Koppelungsgesetz oder den verhältnismäßig kleinen Gegenstand des Dosenpfands – die politische Kraft fehlt, mehr als eine „Selbstverpflichtung“ der betroffenen Wirtschaft zum Zwecke ihres Interessenschutzes zu erreichen: Wie soll dann ein verbindlicher globaler Vertragsgsrahmen realistische Perspektiven eröffnen? Es sei denn, dieser ist so wie das Kyoto-Protokoll gestrickt, das der betroffenen fossilen Energiewirtschaft keine Einbrüche beschert.


Technologische Revolutionen erfolgen nicht durch Verhandlungen

Nicht nur aus den genannten Gründen intensiver politisch-energiewirtschaftlicher Interessenverflechtung sind globale Klimaverhandlungen bisherigen Verlaufmusters wenig erfolgversprechend. Selbst wenn es diese Verflechtungen – intensiver und breiter noch als die zwischen Politik und Rüstungswirtschaft – nicht gäbe, sprächen elementare wirtschafts- und techniksoziologische Gründe dagegen. Die für eine nachhaltige klima- und umweltschützende Energieversorgung notwendige Ablösung fossiler Energiequellen (wie auch atomarer) bedeutet wirtschaftlich deren Ersetzung durch Techniken, die Energie effizienter umwandeln und bereitstellen und die überwiegend nicht-kommerziellen erneuerbaren Energien umwandeln und nutzen. Deshalb und weil die erneuerbaren Energien von ihrer aktiven Förderung bzw. Einsammlung bis zu ihrer Nutzung einen völlig anderen Energiefluß als die fossilen Energien haben, sind andere wirtschaftliche Träger und andere Wirtschaftszweige angesprochen als die der konventionellen Energiewirtschaft – und damit andere wirtschaftliche Interessen. Erneuerbare Energien erfordern zahlreiche Träger – potentiell jeden einzelnen Energienutzer – und sind eine neue wirtschaftliche Entwicklungschance für die Landwirtschaft (Biomasse), die Baustoffwirtschaft (energie-sparende Materialien), das Ingenieurwesen und das Handwerk (solares Bauen), die Anlagen- und Motorenindustrie (Windkraftanlagen, Biogasanlagen, dezentrale Motorkraftwerke, Brennstoffzellen), die elektrotechnische Industrie (autonom stromproduzierende Elektrogeräte) und anderes mehr. Die realisierte ökologische Energiereform ist der denkbar umfassendste Fall einer wirtschaftlichen Strukturumwälzung – der eigentliche Grund für die zahlreichen Widerstände.
Erfahrungen, wie eine technologische Revolutionierung mit umwerfenden Folgen entsteht, vermittelt uns die moderne Technikgeschichte vielfach. Keine einzige technologisch-strukturelle Revolution erfolgte ohne massive Widerstän-de, keine im Konsens mit den potentiellen Verlierern und keine über einen inter-nationalen Vertrag, auch wenn die Wirkung eine globale war. Aber viele brauchten am Ort ihrer Entstehung zunächst einen politischen Rahmen oder gezielte Förderung, um sich entfalten und ihre neue wirtschaftliche und kulturelle Attraktivität demonstrieren zu können: ob Eisenbahnbau, Stromtrassenbau, Automobilisierung, Schiffs- oder Flugverkehr, Atomkraft oder Telekommunikation.

So entstanden und entstehen dynamische Prozesse, bis sie schließlich eine selbsttragende Eigendynamik entwickeln (was bei der politisch umhegten konventionellen Energiewirtschaft bis heute nicht der Fall ist). Die Mikroelektronik wurde wegen der durch sie ermöglichten Produktionsvorteile eingeführt, trotz der damit verbundenen umfassenden Strukturbrüche in fast allen Wirtschaftszweigen. Wer dieser Entscheidung politisch – etwa durch Forschung und Entwicklung – nachhalf, hatte Standortvorteile. Wo gebremst wurde, um Strukturbrüche zu vermeiden, kamen die Nachteile. Auch bei der ebenfalls umwälzenden Biotechnologie wiederholt sich der gleiche Vorgang.

In keinem Fall wurde gefordert, um unberechenbare Strukturbrüche zu vermeiden, eine der genannten Technologien auf der Basis eines internationalen Abkommens mit quotierten Einführungspflichten einzuführen. Jeder, der dies gefordert hätte, wäre als wirtschaftsferner Phantast verlacht worden. Stets hieß und heißt es, schneller zu sein als andere, weil das künftige Standortvorteile bringt.

Alle diese Erfahrungen werden beiseite geschoben, wenn es um ökologische Energietechnik geht, deren Anwendungsbreite umfassender ist als jede andere technologischen Innovation. Nur hier gilt der Strukturwandel als unzumutbar und konnte sich das irreale Leitmotiv durchsetzen: Wenn, dann alle. Erklärbar ist das nur mit der geistigen Hegemonie der real existierenden Energiewirtschaft, die für sich einen anderen Maßstab verlangt und weithin unbestritten durchgesetzt hat. Sie darf sich zugleich wie ein Träger öffentlicher Belange und als der Allgemeinheit nicht verpflichtete Privatwirtschaft aufspielen, planwirtschaftliche wie marktwirtschaftliche Kategorien gleichermaßen für sich in Anspruch nehmen. Die Rolle als Staat im Staat ist ihr von den Regierungen zugestanden – wie bei den deutschen Energiekonsensverhandlungen, deren Abschlüsse Staatsverträgen gleichkommen.


Dynamischer Klimaschutz jenseits bisheriger Klimaverhandlungen

Dynamischer Klimaschutz, der die tatsächliche Bedrohung ernst nimmt, muß auf die mit der Energiewende verbundenen, nicht zuletzt wirtschaftlichen Chancen setzen. Diese zu nutzen, erfordert kein Weltabkommen, sondern die Bereitschaft zunächst einzelner und dann einer wachsenden Anzahl von Staaten und Unternehmen, diese Chance ohne Rücksicht auf die fossile Energiewirtschaft zu ergreifen. Dafür ist das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz das beste Beispiel, weil es zur internationalen Überraschung unerwartet schnelle Zuwachsraten bewirkt und neue Industriezweige entstehen läßt. Stimuliert durch dieses Vorbild entwickeln jetzt Ägypten, China, Indien, Brasilien, Argentinien, Frankreich und einzelne US-Staaten ambitionierte Windkraftprogramme mit Kapazitäten von jeweils Tausenden von Megawatt.

Dazu bedurfte es der praktischen Initialzündung, die Zweifler und Ignoranten widerlegt. Die Felder für solche Initialzündungen sind zahlreich: von der Forschungs- bis zur Entwicklungs- und der Agrarpolitik sowie bei unternehmerischen Produktinnovationen, die auch ohne politische Hilfestellung möglich sind – vor allem durch die Verknüpfung von Mikroelektronik mit mikroenergetischen photovoltaischen Techniken, also solarer Informationstechnologie.

Wenn die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre Rolle als Avantgarde in der Klimapolitik ernst meinen, dann müßten sie jetzt ihre Prioritäten in der Forschungs-, Agrar-, Entwicklungs- und Baupolitik sowie ihre Marktordnungen endlich ändern – statt sich auf eine Fortschreibung des zähen Kyoto-Prozesses und eine Ausgestaltung des fragwürdigen Emissionshandels zu fixieren, während sie gleichzeitig Förderprogramme für erneuerbare Energien mit der Keule der Wettbewerbswidrigkeit traktieren. Sie müßten endlich die EU-Emissionssteuer einführen, die EU-weite Mineralölsteuerbefreiung für ölverarbeitende Betriebe und für Flugtreibstoffe aufheben und die zweistelligen Euro-Milliardenbeiträge nicht ausgegebener Entwicklungsgelder für die AKP-Staaten auf die nachhaltige Energiebereitstellung in Afrika konzentrieren.

Dies alles bedeutet noch nicht, daß man diese Entwicklungen nicht auch durch globale Verhandlungen mitgestalten könnte. Nur müßten sich die Verhandlungsschwerpunkte ändern: zum Beispiel ein Prioritätenwechsel der Weltbank, eine weltweit operierende Agentur für Erneuerbare Energien zur Erleichterung des Technologietransfers, anerkannte ökologisch bedingte Reziprozitätsklauseln beim konventionellen Energiehandel, die Aufhebung der Handelsbeschränkungen gegenüber ökologischen Energietechniken und globale industrielle Normen für diese, das Verbot der Subventionierung von Energieexporten, oder die Einrichtung eines Umweltsenats beim Internationalen Gerichtshof.

Das alles wäre Klimapolitik mit zielführender Dynamik, unbürokratisch und jenseits der bloßen Fortschreibung und Verfeinerung des bisherigen Prozesses der Weltklimakonferenzen. Dieser zeigt uns – aus systematischen Gründen – eine Fata Morgana des Klimaschutzes.