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(c) gold-solarwind.deArtikel erschienen in überblick. Quartalschrift des kirchlichen Entwicklungsdienstes, 4/2001, 15. Dezember 2001 

Die Entwicklungskrise der Dritten Welt kann nur mit Erneuerbarer Energie gelöst werden.

Entwicklungskrise als atomar-fossile Energiekrise: Die Entwicklungskrise der „Dritten Welt“ ist nicht erklärbar ohne deren permanente Energiekrise. Diese Energiekrise ist eine permanente Preiskrise und eine grundlegende Krise der Struktur der Energiebereitstellung.

Es ist eine Preiskrise, weil die Entwicklungsländer – wenn überhaupt – weitgehend dieselben Energiequellen wie die Industrieländer nutzen: Soweit sie diese importieren oder von den globalen Energiekonzernen geliefert bekommen, müssen sie trotz erheblich niedrigerem Bruttosozialprodukt und geringerer individueller Kaufkraft ihrer Menschen weitgehend die Weltmarktpreise zahlen, was sie wirtschaftlich extrem überfordert. Es ist eine Strukturkrise, weil die Entwicklungsländer schon in ihrem vorindustriellen Entwicklungsstadium dieselbe Energieversorgung implantiert haben, wie sie sich in den Industrieländern erst in einem fortgeschrittenen Stadium ihrer industriellen Entwicklung etablierten: Durch diese Implantation des industriellen zentralisierten Energiesystems war es den Entwicklungsländern nie möglich, eine ihren Ausgangsbedingungen entsprechende – also diesen angepasste und sie dabei verändernde – sozio-ökonomische Entwicklung zu realisieren.

Dieser Zusammenhang zwischen Strukturen der Energieversorgung und wirtschaftlicher Entwicklung ist vielen – bis weit in die Reihen der kritischen Entwicklungsökonomen - nicht bewusst. Die wirtschaftssoziologische Bedeutung der Energieversorgungsstrukturen ist auch in der Wissenschaft eher eine Art „terra incognita“ ist. Das weltweit dominante atomar/fossile Energiesystem wird zwar wegen seiner negativen ökologischen Folgen kritisch betrachtet, gilt aber doch den meisten als alternativlos, weil – so das weitverbreitete Vorurteil - das Potential Erneuerbarer Energien als unzureichend für die Befriedigung der Energiebedürfnisse hingestellt und wahrgenommen wird. Soweit aber mittlerweile Erneuerbare Energien als mögliche Alternative wahrgenommen werden, wird sich deren Nutzung in etwa denselben Strukturen vorgestellt, wie sie zumindest für die fossilen Energien bekannt sind: Was allgemein als steigerungsfähig angesehen wird, ist die effizientere Nutzung der Energie. Die Struktur der Energieversorgung der Industrieländer dagegen gilt als generell erstrebenswerter Fortschritt – und damit auch als Muster für eine Energiebereitstellung für die Entwicklungsländer. Solange so gedacht wird, bleibt, vor allem der Welt der Energie-Experten, die Sicht über den elementaren Zusammenhang der Entwicklungskrise und dem dominierenden atomar/fossilen Energiesystem versperrt.

Die industrielle Revolution, die von England aus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert eingeleitet wurde, war vor allem eine energietechnische. Mit der Einführung der berühmten James Watt’schen Dampfmaschine wurde eine bis dahin einmalige Steigerung der Energie-Effizienz möglich. Mit weniger Energie konnte wesentlich mehr Leistung erzielt werden. Die industrielle Massenproduktion konnte beginnen. Gleichzeitig konnten mit der Dampfmaschine – Stichworte: Dampfschifffahrt, Dampfeisenbahn – die Transportpotentiale vergrößert und die Transportgeschwindigkeit erhöht werden. In einer späteren Phase wurde es möglich, die Dampftechnik zur Stromerzeugung zu nutzen. So wurde die Dampfmaschine zur treibenden Kraft des Industrialisierungsprozesses und seiner globalen Entfaltung.

Die Kohle wurde, nach ersten Anfängen mit Holzkohle, als Energieträger dafür gewählt. Dies war ein historischer Zufall, denn es spricht kein technisches Argument und auch keines der Energiepotentiale dagegen, dass nicht auch Pflanzenöl zur Energiequelle hätte werden können. Obwohl die Dampfmaschinen einen effizienteren Energieeinsatz ermöglichten, stieg mit ihrer Einführung der Energiebedarf. Sie senkten die Produktionskosten und konnten deshalb die Produktion vervielfachen. Daraus folgte die zunehmende Notwendigkeit einer konzentrierten Energiebereitstellung, also das Entstehen der Energiewirtschaft, die zunächst eine Kohlewirtschaft war.

Die ersten industriellen Standorte entfalteten sich dort, wo auch die Kohlebergwerke waren, solange keine Infrastruktur für den Energietransport zur Verfügung stand. Sobald das der Fall war, konnten sich auch die Produktionsstandorte auch räumlich entfalten. Mit der Entdeckung der energetischen Vorzüge des Erdöls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – seiner leichteren Förder- und Transportmöglichkeiten und effizienteren Handhabung – weitete sich die Kohlewirtschaft um die Ölwirtschaft aus und später um die Erdgaswirtschaft. Die Nachfragebasis für diese fossilen Energien wurde durch die Entdeckung und Einführung eines weiteren Energiewandlers massiv ausgeweitet, der im 20. Jahrhundert eine ebenso große Bedeutung wie die Dampfmaschine errang – der Verbrennungsmotor – und der Entdeckung des elektrischen Stroms und der folgenden Elektrifizierung.

Dass fossile Energien – und nicht Bio-Energie wie etwa Pflanzenöl – zur Energiequelle der Motorisierung wurde, hatte inzwischen einen energiewirtschaftlichen Grund. Die Motorenentwickung wurde an der Energiequelle ausgerichtet, die ohnehin schon für die Dampfmaschinen von der für diese bereitstehenden Energiewirtschaft angeboten war. Die Elektrifizierung erfolgte zunächst auf lokaler Ebene, mit Hilfe von Wasserkraftwerken oder mit fossiler Energie befeuerten Kraftwerken, weil es zunächst noch keine Stromnetze gab. Sie startete also dezentral, vorwiegend durch Stadtwerke.

Erst mit dem allmählichen Aufbau von lokalen und dann regionalen und nationalen Stromnetzen – ein Prozess, der viele Jahrzehnte dauerte – erfolgte parallel dazu die Ablösung zahlreicher kleiner Kraftwerke durch wenige Großkraftwerke, um die Stromproduktion dort zu konzentrieren, wo die dafür notwendige Primärenergie leichter verfügbar war durch Stauseen für die Wasserkraft, in der Nähe der Kohlebergwerke, der Ölraffinerien oder entlang der Öl- und Gaspipelines. Der wichtigste technisch-wirtschaftliche Grund dafür war, dass sich Strom wiederum leichter und schneller transportieren lässt als die in den Kraftwerken eingesetzte Primärenergie.

So entwickelten sich der Industrieprozess und die Strukturen der Energieversorgung auf dem ersten Blick zwar ungefähr synchron. Tatsächlich ist aber klar erkennbar, was dabei jeweils die Determinante war: die Dampfmaschine determinierte die fossile Energiewirtschaft, diese determinierte und selektierte dabei die weitere energietechnische Entwicklung, und die so entstandene Energiewirtschaft und die Energietechnik determinierten die wirtschaftliche Entwicklung und die Siedlungsentwicklung der Industriegesellschaften, indem sich aufgrund der sich immer konzentrierterer Energiebereitstellung Millionenstädte und Ballungszentren bilden konnten.

Diese Entwicklung erfolgte in Form konzentrischer Kreise, die sich allein mit der sich ausweitenden Infrastruktur der Energietransporte stetig ausweiten konnten. Mit dieser Infrastruktur gelang es auch, die von dem anfangs nur lokal oder regional verfügbaren Energiepotential gesetzten Wachstumsgrenzen zu überspringen. Den Ländern, die zu den Vorreitern der Industrialisierung gehörten, standen damit zunehmend das globale Potential an fossilen Energiequellen einschließlich des Urans als Ausgangsmaterial für die Atomkraftwerke zur Verfügung. Seitdem ist der Unterschied zwischen arm und reich in der Weltwirtschaft immer größter geworden.

Das energetische Menetekel der Entwicklungsländer

Die beschriebene Entwicklungserfahrung der Industrieländer wurde zum Vorbild der wirtschaftlichen Strategien der Entwicklungsländer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – und damit in einem Zeitraum und unter Bedingungen, die eine Kopie dieses Prozesses von Anfang an eigentlich nicht mehr erlaubte. Die Gründe dafür sind nicht nur die begrenzte ökologische Belastbarkeit der Ökosphäre und die sich anbahnende Erschöpfung fossiler Energiepotentiale, die eine Übertragbarkeit der Energiewirtschaft der Industrie – auf die Entwicklungsländer – also eine globale Generalisierung der fossilen Energieversorgungsstrukturen – nicht nur ausschließt, sondern schon längst die Industrieländer selbst veranlasst haben müsste, den Wechsel zu Erneuerbaren Energien zu vollziehen. Ein dritter Grund ist, dass sich für die Energiebereitstellung in den Industrieländern schon in den 50er Jahren globale operierende Energiekonzerne gebildet hatten, die die Energiebereitstellung von der Quelle bis zum Energieverbrauch kontrollierten – ausgerichtet an eigenen Interessen und den Marktbedürfnissen der Hauptkonsumenten in den Industrieländern. Die Entwicklungsländer waren und sind mit einer Energiewirtschaft konfrontiert, die ihnen ihre Preise und ihre Strukturen diktieren kann, ihnen also nicht nur die Energie liefert, sondern auch die in den Industrieländern erprobte und entwickelte Energietechnik, die nur dem Entwicklungsstadium der Industriegesellschaft angepasst sind. Der vierte Grund ist, dass die Entwicklungsländer nicht die Entwicklungszeit zur Verfügung haben, die die Industriegesellschaften für die Entwicklung ihres Energiesystems aufbringen konnten, als sich deren konzentrische Versorgungskreise dezentral bildeten, um sie dann allmählich zu einer zentralen Versorgungsstruktur auszudehnen – parallel zu dem allmählichen Prozess der Ablösung der landwirtschaftlichen Primärwirtschaft zu einer industriellen (Sekundär-)wirtschaft und zur einer (tertiären) Dienstleistungswirtschaft. Indem den Entwicklungsländern schon in der Phase, in der die weit überwiegende Zahl ihrer Menschen von der Primärwirtschaft lebt, die Strukturen samt Techniken der industriellen Sekundär- und Tertiärwirtschaft implantiert wurden, gerieten sie in eine energie- und damit wirtschaftssoziologische Falle existenziellen Ausmaßes.

Die Implantation des industriellen Energiesystems in die Entwicklungsländer begann dezentral, also in den Städten. Das begehrte Medium dafür war die Stromversorgung. Strom ist aufgrund seiner einzigartigen Vielseitigkeit der attraktivste Energieträger. Die Stromerzeugung mit Hilfe großer Kraftwerke, also aus dem Stand, aufzubauen, erschien als die Chance zur Verkürzung des wirtschaftlichen Entwicklungswegs. Die Städte wurden mit schnell hochgezogenen und rasch verkommenden Betonbauten „erschlossen“, mit wuchernden Straßen- und Kabelnetzen, Siedlungsringen und Armutsvierteln um die Stadtzentren. Smog überwölkte Städte wie Mexiko City, Sao Paulo, Lima, Kairo, Neu Delhi, Bombay, Djakarta, Istanbul oder Karachi, die die 10-Millionen-Einwohnergrenze längst überschritten haben, belegen eklatant die Aussichtslosigkeit des fossilen Zivilisationsmodells. Es gibt in der industriegesellschaftlichen Entwicklung kein Beispiel eines so rapiden Städtewachstums wie in Kairo, Mexiko City oder Sao Paulo, die in weniger als 40 Jahren von 2 bis 3 auf 16 bis über 20 Millionen Einwohner wuchsen.

In den Megastädten der Industriegesellschaften stagnieren die Bevölkerungszahlen, und in den ländlichen Räumen lebt durch die Marginalisierung des landwirtschaftlichen Sektors bereits nur noch ein geringer Teil der Bevölkerung. Die Megastädte der Dritten Welt dagegen sind mit einer kaum enden wollenden Zuwanderung konfrontiert, der sie hilflos gegenüber stehen. In den Ländern der Dritten Welt lebt dagegen der überwiegende Teil der Bevölkerung immer noch in ländlichen Räumen: in China, Indien, im übrigen Asien insgesamt und im subsaharischen Afrika sind es immer noch über 70 Prozent. Damit stehen noch riesige Menschenmassen vor ohnehin schon hoffnungslos überlasteten Städten.

"Least Developed Countries" heißt dieser "Entwicklungsstand" unter Dritte-Welt-Experten. Dieser Sprachgebrauch verrät, dass ein Land als besonders niedrig entwickelt gilt, wenn der Anteil der ländlichen Bevölkerung besonders hoch ist - wie in Burundi, Ruanda, Burkina Faso, Uganda, Malawi, Nepal, Äthiopien, Niger, Eritrea, Tanzania, Kenia, Bangladesch, Kambodscha oder Laos, wo es sogar über 80 Prozent sind. Die Botschaft "Nichts wie weg" steckt unausgesprochen in dieser Kategorisierung - als wäre die Vorhölle der Großstadtslums eine höhere Entwicklungsstufe.

Mit der auf die Städte konzentrierten Energiebereitstellung - als der Kopie der modernen Energiesysteme der Industriegesellschaft - wurde die ländliche Entwicklung vernachlässigt oder sogar abgehängt. Die ländliche Bevölkerung kann sich die für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung notwendigen kommerziellen Energiequellen entweder gar nicht leisten oder sie sind ihr infrastrukturell gar nicht zugänglich. Diese strukturellen Ursachen der Landflucht bzw. des katastrophalen Wachstums der Städte machen die Tragweite der energetischen Sackgasse für die gesamte Entwicklung der Dritten Welt sichtbar. Am härtesten trifft es Afrika, den ärmsten Kontinent, der - wie Axelle Kabou in ihrer Streitschrift gegen „Eliten und weiße Helfer" schreibt - "gleichzeitig unterentwickelt und unteranalysiert" ist. Aus dieser Sackgasse gibt es nur einen einzigen Ausweg: die Nutzung Erneuerbarer Energien, so dass in den ländlichen Räumen Strom und Treibstoff für landwirtschaftliches, handwerkliches und kleinindustrielles wirtschaftliches Wachstum zur Verfügung stehen.

Es ist ein intellektuelles Armutszeugnis, wenn diese fundamentalen Zusammenhänge in wissenschaftliche Betrachtungen über die Ursachen von Unterentwicklung und Gewaltexplosionen kaum einbezogen werden selbst im "Süd-Süd"-Bericht, der in der zweiten Hälfte der 80er Jahre unter dem Vorsitz des tansanischen Präsidenten Nyerere erarbeitet wurde (und der den "Nord-Süd"-Bericht unter der Aegide Willy Brandts ergänzt), wird dem Energieproblem kaum Aufmerksamkeit gewidmet - und als Strukturproblem gar nicht erst thematisiert. Die Veröffentlichung der Stiftung Wissenschaft und Politik, des offiziellen außenpolitischen Beratungsinstituts der deutschen Regierung, über die Frage der Verhinderung und Lösung gewaltsamer Konflikte in Afrika verliert kein Wort zur Energiekrise, die unmittelbar zu Lebensraumkonflikten führt. Noch Ende der 50er Jahre hatte der Amerikaner Walt Rostow fünf wirtschaftliche Wachstumsstadien beschrieben, die in immer gleicher Weise aufeinander folgen: sie führen von der traditionellen Gesellschaft zu ersten industriellen Schüben, zu dessen Transformation in marktwirtschaftlichen Strukturen und schließlich zu wirtschaftlichem Wohlstand in Stadtzivilisationen.

Dass den meisten Ländern der Dritten Welt das Entwicklungsmodell der industriellen Revolution einfach übergestülpt wurde, ist zwar vielfach in all seinen kulturellen und sozialen Folgen beschrieben worden, ebenso wie die fehlgeschlagenen Versuche eines Entwicklungssozialismus. Entweder kollektivierten diese die kleinbäuerlichen landwirtschaftlichen Strukturen, was einen Kulturbruch auslöste. Oder sie versuchten diese Strukturen zu erhalten, allerdings ohne die dafür entscheidende Voraussetzung sicher stellen zu können: die technische und wirtschaftliche Verfügbarkeit von Energie für den Betrieb von Motoren, landwirtschaftlichen Geräten und Produktionsmaschinen. So wurden die vorhandenen kleinbäuerlichen und handwerklichen Strukturen immer unproduktiver und damit an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Wenn Energie technisch überhaupt verfügbar war, konnte die ländliche Bevölkerung diese im Regelfall kaum bezahlen.

Die Alternative dazu wäre gewesen und ist es mehr denn je, autonom arbeitende dezentrale Energiesysteme auf der Basis heimischer Erneuerbarer Energie einzuführen. Die technischen Möglichkeiten dafür sind seit langem vorhanden, wie die Technikgeschichte solarer Energiesysteme zeigt - von Kleinwasserkraftwerken bis zu kleinen Windstromanlagen, von Biogasanlagen bis zu Motoren auf der Basis von Holzvergasung. Doch nur in wenigen Ländern wurden sie partiell eingeführt. Eine Ausnahme blieben etwa die vielen Millionen Biogasanlagen, der chinesischen Kleinbauern. Doch auch diese beschränkten sich darauf, den Koch- und Wärmebedarf zu decken, ohne darüber hinaus auch an Strom oder Treibstoffe aus den für sie verfügbaren Erneuerbaren Energien zu denken, mit denen arbeitserleichternde Geräte eingesetzt werden können.

"Moderne" zentrale Energiesysteme entkoppelten somit die wirtschaftliche Entwicklung von ihrer sozialen und kulturellen Basis. 97 % der Stromerzeugungskapazitäten von Tansania stehen z.B. allein den Städten zur Verfügung, auf die sich der Ausbau der Verteilernetze beschränkte - und aus wirtschaftlichen Gründen auch beschränken muss, solange die Elektrifizierung über zentrale Kraftwerke erfolgt. In Lesotho werden 93 % des Stroms durch Großwasserkraftwerke produziert und privilegieren damit strukturfremde wirtschaftliche und soziale Trends; nur 7 % kommen aus strukturgemäßeren Kleinwasserkraftwerken.

Die Weltbank (und in ihrem Gefolge andere Entwicklungsbanken und die jeweiligen nationalen Entwicklungspolitiken) fördert diese energetische Fehlschaltung in enger Anlehnung an die Interessen der Industrieländer, ihrer Kraftwerks-, Motoren- und Elekrizitätsindustrie und Ressourcenkonzerne. Von den 292 Mio. Dollar, mit denen die Weltbank zwischen 1952 und 1963 Projekte in Brasilien gefördert hatte, wurden 264 Mio. allein für die Elektrifizierung durch große Kraftwerke verwendet. Ein Großteil der Entwicklungskredite zielte und zielt wie seit eh und je auf den Energiebedarf der Rohstoffkonzerne, um den Bedarf der Industrieländer an Rohstoffen aus der Dritten Welt sichern zu können. Viele Großkraftwerke wurden nur gebaut, um billigen Strom für die Bergwerksaktivitäten und die minennahe Metallaufbereitung bereitzustellen - mit fatalen Folgen für die Umwelt. Die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den Ölmultis wurde etwa bei Kreditentscheidungen für Straßen statt für Eisenbahnen verstärkt, oder sogar indem Entwicklungsländern Kredite für ihre eigenen Ölförderung bzw. den Aufbau von Raffinerien verweigert wurden, solange dies den Marktinteressen der westlichen Ölkonzerne entgegenstand. Ebenfalls unter deren massiver Einflussnahme finanzierte die Weltbank andererseits Düngemittelfabriken: Stolze 58 % aller Kreditprojekte machten diese im Jahr 1979 aus. Statt des Kleinbauerntums wurde mit Priorität das "commercial farming" gefördert, also der Einsatz landwirtschaftlicher Großgeräte und Pestizide auf Erdölbasis.

Dass diese Weltbank-Politik nicht auf die 50er, 60er und 70er Jahre beschränkt blieb, zeigen auch aktuellere Analysen. So haben 1997 amerikanische und europäische Nicht-Regierungs-Organisationen in einer Gemeinschaftsstudie ermittelt, dass die Weltbank seit der Verabschiedung der Weltklima-Konvention im Jahr 1992 Projekte zur Finanzierung von fossilen Energieanlagen unterstützt hat, die zu einer Steigerung klimazerstörender Emissionen führen. Mittlerweile sind zwar Kreditprogramme für Erneuerbare Energien angelaufen. Aber immer noch fördert die Weltbank mit vielfach höheren Summen Investitionen in neue Erdöl- und Erdgasfelder, den Kohlebergbau und fossile Kraftwerke. Sie fördert darüber hinaus ausländische Beteiligungen und Übernahmen von Energieunternehmen in der Dritten Welt - und damit den Konzentrationsprozess in der globalen Energiekette. 90 Prozent der Projekte gehen an Energiekonzerne der sieben großen Industrienationen. Nur 5 Prozent des Energiebudgets gehen in die ländlichen Räume der Entwicklungsländer und nur 3 Prozent fließen in Projekte Erneuerbarer Energien.

Zwar deckt die Weltbank mit ihren Krediten nur drei Prozent des globalen Finanzbedarfs für Energieinvestitionen, aber sie beeinflusst in hohem Maße die Kreditstrategien anderer Banken. Dies alles geschieht, geradezu schizophren, im diametralen Gegensatz zu hausinternen Analysen: Auch Weltbank-Experten haben längst festgestellt, dass die Energiebereitstellung durch Erneuerbare Energien für die Mehrheit der Menschen in den ländlichen Räumen der Entwicklungsländer ein zwingendes Erfordernis ist. Und auch dies steht in Weltbank-Studien: Erneuerbare Energien seien nicht allein aufgrund ihrer Umweltfreundlichkeit dringlich zu fördern, sondern sie seien für die ländlichen Strukturen auch die ökonomisch schlüssige Option, weil sie dafür notwendigen Energietechniken von einer infrastrukturellen Vernetzung und einem zentralen Versorgungssystem unabhängig sind. Es gibt durchaus eindrucksvolle Beispiele für die Elektrifizierung mit dezentralen und netzunabhängigen Anlagen zur Nutzung Erneuerbarer Energien – etwa die „Solar Home Systems“ mit Photovoltaik, wie sie in ländlichen Gebieten der Dritten Welt inzwischen zunehmend eingeführt werden. Es gibt umfassende Durchführbarkeitsstudien zur Breiteneinführung, etwa jene über „Photovoltaic for the Worlds Villages“, die 1996 im Auftrag der EU-Kommission erstellt wurde. Immerhin leben mehr als zwei Milliarden Menschen ohne Anschluss an ein Stromnetz. Überlandleitungen und Verteilernetze sind aber der größte Kostenfaktor eines zentralisierten Strombereitstellungssystems. Die Kosten dafür stehen im Verhältnis von 4:1 oder mehr zu denen für Kraftwerke. Was die Menschen und ihre Regierungen in den Industrieländern über Jahrzehnte hinweg bezahlt haben, bleibt für die Entwicklungsländer in ihren ländlichen Räumen unbezahlbar.

Aber von diesen den Notwendigkeiten und Möglichkeiten auch nur annähernd entsprechenden Energiestrategie kann keine Rede sein. Ein Umdenken hin zu Erneuerbaren Energien verhindern bis heute die maßgeblichen Entscheidungsträger, die eingebettet sind in das Interessengeflecht der fossilen Ressourcenwirtschaft, einschließlich der Regierungen der Dritte-Welt-Länder selbst. Viele obstruieren diese Entwicklung mit hartnäckiger Selbstverständlichkeit. Von der globalen Energiekette sind sie auch ideologisch so sehr gefesselt, dass sie an die naheliegendste Möglichkeit zu allerletzt denken –ganz zu schweigen von der Korruption, die die Energiekonzerne seit Jahr und Tag erfolgreich praktizieren.

Das vielleicht deutlichste Beispiel kontraproduktiver Energiestrategien ist das Projekt einer Hochspannungsleitung nebst angeschlossenen Großkraftwerken im südlichen Afrika, die von der SADC (Southern African Development Community) geplant ist. Angola, Botswana, Lesotho, Malawi, Mosambik, Namibia, Swasiland, Tansania, Sambia und Simbabwe haben in 1996 ein gemeinsames Energieprotokoll verabschiedet. Geplant ist ein Stromnetz vom Äquator bis zum Kap – dies wäre die längste Stromleitung des Erdballs. Es soll gespeist werden mit Strom aus großen, zum Teil noch zu errichtenden Staudamm-Kraftwerken, aus Kohle- und Atomkraftwerken der Südafrikanischen Union und einigen Gaskraftwerken. Dieser „Power Pool“ unter faktischer Federführung des südafrikanischen Stromgiganten Eskom ist aber tatsächlich ein Monstrum organisierter zivilisatorischer Fehlentwicklung. Aus Kostengründen ist es unmöglich, den über die Hochspannungsleitungen transportierten Strom in die Dörfer zu lenken, wo drei Viertel der Gesamtbevölkerung des Subkontinents leben. Die Hochspannungsleitung wird deshalb die Wirtschaftsaktivitäten magnetartig entlang der Stromlinie konzentrieren. Diese Leitung provoziert also Landflucht und Slumbildung in den Städten und ist dabei armutsfördernd und kulturzerstörend. Die aus den ländlichen Räumen Abwandernden lassen die Alten in den Dörfern zurück, die Familienstrukturen werden zerrissen. Und in ihrer neuen Heimat in den Wellblechunterkünften um die Städte blühen Prostitution, Verwahrlosung und Gewalt. Der jähe Sprung von ländlichen Dorfstrukturen in ein zentralisiertes Energiesystem wird damit für die Gesellschaften ein Absturz ins Bodenlose. Das Konzept wirtschaftlicher „Modernität“, die Menschen zu den fossilen Energiesystemen zu holen, statt die Energiesysteme dort bereitzustellen, wo sie leben, erweist sich als verhängnisvolle Obsession des dominanten Energiedenkens.

Ressourcenabhängigkeit trotz Ressourcenreichtum

Die Länder des Südens haben den größten Reichtum an Ressourcen – sowohl an fossilen wie an solaren bzw. biologischen Rohstoffen. Dennoch stecken sie in der Falle des globalisierten fossilen Ressourcenzentralismus, weil sie auf Gedeih und Verderb von dessen Ketten abhängig gemacht werden bzw. sich selbst gemacht haben. Dies zeigt sich auch an der wachsenden Geldmenge, die die Volkswirtschaften der Dritten Welt im Verhältnis zu den Exporteinnahmen für den Import von fossiler Energie ausgeben müssen. Der Weltentwicklungsbericht gibt für den Zeitraum von 1960 bis 1985 folgende Zahlen an:

Tabelle 1

Energieimporte der Entwicklungsländer 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die aus den Weltentwicklungsberichten zusammengestellte Tabelle zeigt rasant steigende Kosten für Energieimporte seit Mitte der 60er Jahre. Das Bild wäre noch deutlicher, stünden in den jüngeren Weltentwicklungsberichten auch die Angaben für die Jahre nach 1985. Alles spricht dafür, dass der Energieimport seitdem noch größere Anteile der Gesamteinnahmen aus Exportaktivitäten absorbiert. Ursache dafür ist vor allem der wachsende Treibstoffbedarf für die rapide zunehmende Motorisierung und den Flugverkehr durch den Tourismus. Dabei ist in der Statistik nicht einmal die Höhe jenes Anteils der Exporteinnahmen enthalten, der zusätzlich für den Import von Kraftfahrzeugen zur Umwandlung der importierten Energie ausgegeben werden muss. Ebensowenig sind die Geldmengen ausgewiesen, die für den Import von Düngemitteln aufgebracht werden.

Der Energieeinsatz steht am Beginn jeder Wertschöpfungskette. Wird er immer teurer, so ergibt sich daraus die dramatische Erkenntnis: Die Länder der „Dritten Welt“ haben keine wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten, solange sie von fossilen Primärenergieeinfuhren abhängig sind. Die Energieeinfuhren fressen die wirtschaftlichen Erträge, die aus dem Energieeinsatz erwachsen sollen, von vornherein auf. Wahrscheinlich hat angesichts der seit den 60er Jahren rapide steigenden Kurve mittlerweile die Mehrzahl der Dritte-Welt-Länder einen Energie-Importanteil, der weit über 50 Prozent der Exporteinnahmen liegt, und bei manchen nähert sich die Kurve schon den 100 Prozent oder geht gar darüber hinaus.

Die Aussichtslosigkeit der auf fossiler Energie basierenden wirtschaftlichen Entwicklung vor allem für die Dritte Welt wird noch evidenter, wenn man in die Analyse miteinbezieht, in welchen Sektoren diese Energie vorwiegend eingesetzt wird. Offenbar wegen des mangelhaften Problembewusstseins unter Wirtschaftswissenschaftlern einschließlich der Energie-Ökonomen liegen zu dieser Thematik keine statistischen Angaben vor. Ein erheblicher Teil der Energieimporte wird innerhalb der Rohstofförderländer in den Minen für das Schmelzen und den Transport mineralischer Rohstoffe eingesetzt. Bei einigen der Rohstofförderländer macht der Export dieser Rohstoffe weit über 50 Prozent aller Exportaktivitäten, bei manchen sogar mehr als 90 Prozent aus (Neu-Kalodonien 99 Prozent, Sambia 92 Prozent, Namibia 77 Prozent, Guinea 70 Prozent, Togo 66 Prozent, Zaire 60 Prozent, Marokko 52 Prozent). Es wäre interessant auszurechnen, wieviele der Deviseneinnahmen aus dem Export dieser Rohstoffe allein für den Import des Energiebedarfs für die Rohstofförderung und –lieferung ausgegeben werden müssen. Dies macht den volkswirtschaftlichen Wert dieser Rohstoffe für die Exportländer wahrscheinlich noch zweifelhafter, als er ohnehin schon ist – abgesehen von den falschen politisch-ökonomischen Weichenstellungen in Richtung auf ein zentralisiertes Energiesystem.

In seiner Schrift „Africa Undermined“ schreibt Greg Lanning: „Die Kupfer-Nickel-Mine wird von einer südafrikanischen Bergwerksgesellschaft finanziert. Sie nutzt einen finnischen Schmelzprozess und eine amerikanische Raffinnerieanlage aus Louisiana. Der Minenertrag wird an Garantiekäufer aus Deutschland verkauft. Vielleicht ist es lästig zu fragen, welchen Beitrag diese Operation für die wirtschaftliche Entwicklung von Botswana leistet?" Wahrscheinlich sind es allein die Beschäftigten im Rohstoffsektor und korrupte Regierungen und Staatsbeamte, die von der Rohstoffwirtschaft profitieren. Und noch wahrscheinlicher ist, dass die umfassende Bilanzierung der fossilen Energiesysteme einschließlich der importierten Kraftwerke und Kraftfahrzeuge unter dem Strich einen Negativsaldo für die Volkswirtschaften der meisten Länder in der Dritten Welt ergibt. Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden globalen Energiekrise und den erwartbaren Preissteigerungen sind diese in Gefahr, von der fossilen Energiekette stranguliert zu werden.

Die blinde Energie-Ökonomie – Blendung der Entwicklungsökonomie

Die Steigerung der Energieeffizienz gilt immer noch als Favoritin in der Diskussion über Alternativen zum gegenwärtigen Energiesystem. Erneuerbare Energien gelten demgegenüber als nachrangig, weil der Investitionsaufwand dafür relativ größer sei. Nun ist zweifellos besonders in den Städten der Entwicklungsländer der energiesparende Spielraum effizienteren Energieeinsatzes enorm hoch. Dennoch ist die These vom ökonomisch begründeten Vorrang der Energie-Effizienz falsch, weil sie einer isolierten Betrachtung der Energiebereitstellung entspringt. Diese Betrachtung ist auf die Investitionsrechnung pro installierter Kraftwerkskapazität reduziert, stützt sich also auf den betriebswirtschaftlichen Kostenvergleich eines technischen Glieds der Energiekette – als sei die Energiekette vor und nach der Energieumwandlung bei jeder genutzten Energiequelle gleich und als gäbe es keine jeweils darauf bezogene Energie-Infrastruktur. Es werden also keine Energiesysteme verglichen. Auch das Emissionshandelskonzept des Kyoto-Protokolls dreht sich um diese beschränkte Kraftwerks-Betriebsökonomie. Demgegenüber ist es aus entwicklungsökonomischen Gründen zwingend, die gesamte Bereitstellungskette zu betrachten – und damit den entscheidenden Unterschied zwischen der Bereitstellung atomar/fossiler Energien einerseits und Erneuerbarer Energien andererseits zu erkennen.

Energieverbrauch ist immer dezentral – dort, wo Menschen arbeiten und leben. Die Energiebereitstellung atomarer/fossiler Energie ist hingegen zwangsläufig zentral, weil die Energiequellen an relativ wenigen Plätzen der Welt vorgefunden und gefördert werden. Zwischen Energiequellen und –konsumenten liegt damit die atomar/fossile Energiekette der diesbezüglichen Energiewirtschaft – mit dem Einsatz von Techniken zur Förderung, zur Aufbereitung, zur Raffinierung, zum Transport, zur Stromerzeugung, zur Entsorgung, zum Weitertransport und zur Verteilung, stets einhergehend mit Kosten und Energieverlusten begleitet, internationalisiert und zentralisiert. Die Energiewirtschaft mit ihren Strukturen und Unternehmensformen ist zugeschnitten auf die Bereitstellung der fossilen Energien und auf Anlagenkonzentration, um durch die Lieferung großer Energiemengen den Kostenaufwand für die Schleusen der Energiebereitstellung senken zu können. Das Energiesystem muss dem Fluss der jeweiligen Energiequellen folgen, und nicht umgekehrt. Seine Aufrechterhaltung erfolgt durch Energiesubventionen, die nach Berechnungen der UNDP 300 Milliarden Dollar jährlich ausmachen.

Erneuerbare Energien haben den einzigartigen Vorteil – insbesondere in den Ländern und Regionen, wo es um erstmalige Energiebereitstellung geht – möglicher kurzer Energieketten, weil sie den Infrastrukturaufwand des fossilen Systems vermeiden können. Sie ermöglichen dezentral zu gewinnende Energie an den dezentralen Orten der Energienutzung, weil sie die überall vorhandene natürliche Umgebungsenergie mit technischer Hilfe nutzbar machen. Sie ersparen den Import von Energie und den Bau einer weiträumigen Infrastruktur für lange Energiewege. Sie nutzen kostenlose Primärenergie – oder die kommerziell angebaute energetische Biomasse, die der je eigene Land- und Forstwirtschaft Auftrieb gibt. Sie stützen sich auf Techniken, die weniger komplex sind als die der Großkraftwerke – und damit auch tendenziell eher von den Entwicklungsländern selbst produziert werden können. Erneuerbare Energien sind damit der nervus rerum einer Entwicklungsökonomie, die angepasst und modern zugleich ist – und allein eine stetige wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen, die die unabhängiger statt abhängiger macht. Alle volkswirtschaftlichen und entwicklungsökonomischen Gründe sprechen dafür. Und die ökologischen ohnehin. Es ist höchste Zeit, die Erneuerbaren Energien zum strategischen Schwerpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung zu machen. Ohne diese ist die Entwicklungskrise der „Dritten Welt“ nicht überwindbar.

Hermann Scheer ist Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler und politischer Publizist. Er ist seit 1980 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 1988 ehrenamtlicher Präsident von EUROSOLAR. Seit Juni 2001 ist er Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien. 1999 erhielt er den Alternativen Nobelpreis.